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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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Kleidung übereinander am Leibe tragen zu müssen, und in der glühenden Sonne manchmal ohnmächtig wurde.
    Ja, man kann sagen, dass sie weitaus mehr »Bestrafung« als nötig zu dem Zweck erfahren hat, sich Demut anzueignen. Manchmal entdeckten wir sie abends dabei, wie sie die verschmutzten Toiletten der Schule putzte, und einmal setzte es eine fürchterliche Strafpredigt, weil sie sich mit mir unterhalten hatte, obwohl ihr auferlegt worden war zu schweigen. Irgendjemand – ich weiß bis heute nicht, wer – hatte der Mutter Oberin davon erzählt. Danach war es mir untersagt, mit Schwester Josie ein Wort zu wechseln. Drei Jahre später, als ich von der Schule abging, hielt sie mich im Treppenhaus an und sagte: »Bitte vergib du mir, denn mir selbst kann ich nicht vergeben.« Ich wusste genau, was sie damit meinte, denn zu diesem Zeitpunkt war auch ich bereits in absolute Ungnade gefallen und als Sünderin abgestempelt. In der Ordensschule konnte es einem leicht passieren, dass man sich von heute auf morgen von einem Vorbild an Tugend in eine reumütige Missetäterin verwandelte. Als sich meine und Schwester Josies Wege trennten, hatten wir beide die Hölle erlebt.
    Â»Was ist aus Schwester Josie geworden?«
    Schwester Sarah schien, wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde, ihre Fassung zu verlieren, doch dann wurde sie augenblicklich wieder so steif wie der weiße Kragen unter ihrem Kinn.
    Â»Sie ist vor ein paar Jahren aus der Kirche ausgetreten, müssen Sie wissen. Und wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden – ich habe jetzt einen schon länger anberaumten Termin«, fügte sie hinzu. »Also fürchte ich, mich nicht länger mit Ihnen unterhalten zu können. Es tut mir leid wegen des Tees, aber vielleicht ein andermal, wissen Sie.«
    Am liebsten hätte ich geantwortet, dass ich das eben nicht so recht wüsste. Ich wollte ihr eine Zigarette anbieten, damit ihre plötzliche Hektik sich legte, nahm dann aber doch davon Abstand. Ich verließ das Büro und schlenderte auf dem Klostergelände umher. Die gärtnernde Nonne wieselte immer noch herum und machte sich gerade mit Feuereifer über die Ringelblumen her. Ich lenkte meine Schritte zum Spielplatz. Wie viele Stunden hatten wir hier verbracht, Basketball gespielt (oder was wir damals so nannten), uns vor dem Gottesdienst versammelt oder unsere Glieder beim Körperertüchtigungsunterricht mit gymnastischen Turnübungen verrenkt. Es gab einmal eine Zeit, in der mein heute so steifer Körper einen Salto vollführen konnte, bei dem ich in vollendeter Anmut auf den Händen landete.
    Die Anzahl der Klassenräume schien sich verdoppelt zu haben, doch es herrschte eine sonderbare Atmosphäre der Leere in ihnen, als wären sie in aller Eile evakuiert worden. Ich versuchte, mir vorzustellen, wie Durga eines dieser Klassenzimmer betrat, eine einsame Gestalt auf dem Weg zu ihrem Unterricht. Schweißperlen liefen mir über den Rücken, und die rote Abendsonne ließ die Bäume lange Schatten auf den Boden werfen. Bald würde es dunkel werden. Mit einem Mal glaubte ich, Schwester Josie zu hören, die aus einem der Klassenräume nach mir rief. Ich wirbelte herum und sah ein Stockwerk über mir ein schwarzes Gewand über den Flur eilen.
    Mein Herz hüpfte vor Freude. Sie war hier! Schwester Josie war doch noch hier. Ich hastete die Stufen hinauf und rannte auf die Nonne zu, die vor der Tür der Schulbücherei stehen geblieben war. Als sie sich nach mir umdrehte, lächelte sie zwar, aber es war jemand anderes, nicht Schwester Josie. Verwirrt wünschte ich ihr einen guten Abend und verließ nervös und fahrig vor lauter Enttäuschung das Schulgebäude. Es war, als hätte sich eine schwere Last auf mich gesenkt, und auch das uralte Gefühl von Eingeengtsein stellte sich wieder ein.
    â—† ◆ ◆

    An [email protected]
    Hallo, vielen Dank für die Nachrichten über Durga. Was kann ich dir groß über sie sagen? Ich war ja kaum ein halbes Jahr lang in Jullundur. Es war eine arrangierte Ehe – Jitu sollte mit mir nach GB zurückkehren –, und bevor ich es mir in Indien ein bisschen heimisch machen konnte, musste ich schon wieder weg, weil das Baby unterwegs war. Durga sollte später nachkommen. Sag ihr, dass Rahul sich noch an sie erinnert. Das wird sie freuen. Wann, meinst du, wird man sie

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