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Die Ueberlebende

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Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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    Grüße, Binny
    An [email protected]
    Liebe Binny, wer ist Rahul? Ihr seid eine so große Familie, dass ich andauernd mit den Namen durcheinanderkomme. Doch nun ist natürlich kaum noch jemand von euch am Leben. Werde Durga deinen Gruß ausrichten.
    Pass auf dich auf
    Simran

3. KAPITEL
    11. September 2007
    Meine Mutter war sehr schön. Ich kann mich noch daran erinnern, wie sie mich einmal von der Schule abholen kam und eines der Mädchen mich gefragt hat, ob sie Schauspielerin wäre. Sie war groß und hellhäutig, und mein Vater stand ihr an Schönheit um nichts nach. Mit seinem wehenden weißen Bart, zu dem er stets einen Turban in einer leuchtenden Farbe trug, wirkte er wie ein König. Zusammen sahen sie aus, als wären sie mitten aus einem Bild von Sahib Singh herausgetreten. Du weißt schon, der Maler, der immer diese tragischen Liebespaare porträtiert hat.
    Obwohl es schien, als wären sie füreinander geschaffen, waren sie doch von ganz unterschiedlicher Herkunft. Die Familie meiner Mutter bestand aus lauter Armeeangehörigen – das fing während des Ersten Weltkriegs mit den üblichen Genrail Singhs und Karnail Singhs an (obwohl sie in Wirklichkeit nur den niederen Rang eines Leutnants bekleideten). Der Vater meiner Mutter, Major Singh, war der erste Singh, der es tatsächlich zu diesem Rang brachte, allerdings erst viele Jahre später.
    Die Familie meines Vaters besaß Land in Form verschiedener kleinerer Pachtgrundstücke. In Jullundur waren wir für unsere blutroten Erdbeeren bekannt. Und für die Altersheime, die wir zu Wohltätigkeitszwecken betrieben.
    Meine Schwester sah aus wie meine Mutter. Sie war genauso schön wie sie. Meine Brüder sahen nicht ganz so gut aus, aber das kümmerte niemanden so richtig – sie waren eben Jungen, und das reichte. Wir wussten natürlich, dass sie in Wirklichkeit meine Vettern waren, aber mein Vater war ganz wild auf Söhne (meine Mutter übrigens auch), so dass ihnen sämtliche Aufmerksamkeit zuteilwurde. Ich fand nie meinen Platz unter all diesen schönen Menschen; ich war dunkelhäutig und hatte überall Haare, vielleicht zu viele Haare für ein Mädchen. Kann sein, dass ich als Kind das Falsche zu essen bekommen habe oder dass mein Testosteronwert zu hoch ist. Meine früheste Erinnerung ist an mein Kindermädchen Amla, wie sie mich mit Sonnenöl eingerieben hat und mich dann in der Sonne umherlaufen ließ. Die meisten Leute haben gedacht, ich wäre Amlas Kind, weil meine Haut nämlich nach und nach immer dunkler wurde, bis sie die Farbe von Ruß hatte, und das war auch Amlas Hautfarbe. Bis sich dann meine Mutter eines Tages dazu herabließ, mich anzusehen, und entsetzt war über die dunkle, hässliche, borstige Kreatur, die aus mir geworden war. Da haben sie angefangen, mich jeden Tag mit langsamen, kreisenden Bewegungen mit in Dickmilch aufgelöstem Kichererbsenmehl einzureiben, damit der Haarbewuchs nachließ und meine Haut heller wurde.
    Aber dieses Glück war mir leider nicht beschieden.
    Ich war und blieb das schwarze Schaf der Familie. Wenn alles zu gut für einen läuft, sagt man, zieht man sich den Zorn der Götter zu, also muss man irgendwo an seinem Körper ein schwarzes Mal anbringen, um Unglück von sich abzuwenden. Und für die Familie Atwal war ich dieses schwarze Mal.
    Mit zunehmendem Alter gelang es mittels Hautaufhellcreme und der Anwendung von Wasserstoffperoxid, die dunklen Haare, die ich überall an meinem Körper hatte, in einen erträglicheren, helleren Flaum zu verwandeln.
    Aber es gab noch andere Mängel, die sich nicht so leicht beheben ließen. Mit dem Älterwerden begannen mir auch merkwürdige Dinge im Haus aufzufallen. Obwohl ich viel mehr ein Junge war als ein Mädchen (jedenfalls meinem Gefühl nach) und ständig auf Bäumen herumkletterte und mir die Knochen brach, wurde ich nie mit dem gleichen Respekt behandelt wie meine Brüder. Ich versuchte, alles zu tun, was auch sie taten – ich ritt auf Pferden, spielte Kricket, gewöhnte mir sogar das Rauchen an (was in einer Sikh-Familie einfach undenkbar war), doch alles, was ich dafür bekam, waren Schläge, während die Jungen mit Liebe und Lob überhäuft wurden. Selbst ihr Rauchen wurde als jugendliche Unart abgetan. Es war wie ein unüberwindlicher Graben für mich: Ich hatte längeres Haar als sie,

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