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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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Nein, sagte sie, denn es gab zu viele davon, und die meisten von ihnen sind namenlos gestorben. Obwohl ich mir gerne vorstellen würde, dass die Hand zu einem Namen gehört hat und einmal die Chance hatte, groß und stark zu werden. Armes Ding. Wir können nur so tun, als ob, Durga. Werden sie das auch mit deinem Kind machen?, habe ich sie gefragt. Nur, wenn es ein Mädchen ist, sagte sie und drückte mich noch fester.
    Ich hielt immer noch diese Hand in meiner eigenen wie eine zarte Blume, als ich über das so unschuldig wirkende Feld hinter unserem Haus, das nun für die nächste Ernte vorbereitet wurde, hinwegblickte. Wie die Furchen zwischen den Traktorrädern gezogen und der Boden von dem grausamen Rechen, den er hinter sich herzog, aufgelockert wurde. Ich stellte mir vor, wie die Klauen dieses Rechens das Fleisch von winzigen Körpern fetzten, die niemals vor Schmerzen aufschreien oder auch nur ihren allerersten Atemzug hatten tun dürfen. Es ist wie ein Schlachtfeld, nicht wahr?, habe ich zu Sharda gesagt. Wenn die Soldaten in der Armee sterben, müssen doch Tausende von Skeletten übrig bleiben. Sie strich mir übers Haar. Schon, sagte sie, aber dann verleihen die Menschen ihnen Medaillen und ehren ihre Familien.
    Aber diese kleinen Babys … an sie erinnert sich niemand. Und wozu auch?
    Sie hätten unsere Schwestern sein können.
    â—† ◆ ◆
    Alles in allem hatte das Beisammensein mit meinem neuen Verbündeten, dem Journalisten, mich ausgesprochen aufgemuntert. Endlich hatte ich das Gefühl, jemanden an meiner Seite zu haben. Auch schien die Arbeit, die ich leistete, seine bewundernde Anerkennung zu finden, und er äußerte sogar den Wunsch, gemeinsam mit mir einen Artikel über Reformen im Strafvollzug zu schreiben. Als ich am nächsten Morgen aus meinem Zimmer kam, brummelte der Hausmeister, dessen Missfallen dieser Herrenbesuch natürlich erregt hatte: »Es sind Blumen für Sie abgegeben worden, Saar .«
    Gurmit hatte seinem Strauß ein Kärtchen beigeheftet, auf dem stand, dass der gestrige Abend einer der schönsten gewesen wäre, die er bisher in Jullundur erlebt hätte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, so etwas schon mal gehört zu haben, aber ich beschloss, das kunstvoll gesteckte, mit Rosen und Farnen durchsetzte Bukett nicht zu verschwenden.
    Ich hielt eine Rikscha an, um mich zu Amrinder fahren zu lassen und ihrer Mutter die Blumen zu schenken. Ich fand, dass ich den roten Rosen Unrecht täte, wenn ich sie in einem Gästehauszimmer hinstellte, in dem nur ich allein ihre Schönheit bewundern konnte. Außerdem wollte ich nicht durch sie zu zärtlichen Gefühlen einem Dreißigjährigen gegenüber angeregt werden. Ich kannte genügend Frauen – mich selbst eingeschlossen –, die sich wegen zum Scheitern verurteilter Liebesbeziehungen lächerlich gemacht hatten, und das wollte ich mir nicht noch einmal antun.
    Ich überlegte mir sorgfältig, was ich zu Amrinder sagen wollte. Schließlich hatte sie wenig Neigung gezeigt, mich wiederzusehen – aber ich fand, dass ich nach wie vor herausbekommen musste, was über mich und den »Fall« geredet wurde. Ich wusste, dass es den Leuten vermutlich zu langsam ging, bis mir der Durchbruch gelang, aber jeder musste doch schließlich einsehen, dass es seine Zeit dauerte, bis man das Vertrauen einer des Mordes verdächtigten Vierzehnjährigen gewann, die in Jullundur noch weniger Freunde als ich selbst zu haben schien.
    Und dennoch – während ich tiefer und tiefer in das Geheimnis eindrang, spürte ich die ganze Zeit über, dass die Lösung nunmehr zum Greifen nahe lag und ich lediglich nicht wusste, in welche Richtung ich weiter vordringen sollte. Die Liste der Verdächtigen wurde immer länger. War Verbitterung das Motiv, kamen Harpreet, Binny oder sogar Manubhai oder seine Töchter als Täter in Frage. Aber wer weiß – vielleicht gab es doch noch den großen Unbekannten?
    Trotz alledem fühlte ich mich so entspannt wie seit Tagen schon nicht mehr. Nachdem ich nun durch Binny von der Besessenheit erfahren hatte, mit der die Familie männliche Nachkommen anstrebte, kannte ich auch den tiefer liegenden Grund für Durgas Zorn.
    Würde Amrinder vielleicht unsere Zwistigkeiten der Vergangenheit vergessen und mir helfen?
    Da es früher Vormittag war und die Ferien noch nicht begonnen hatten, war

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