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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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Amrinder mit ihrer Mutter, die es sich neben ihr in einem Lehnstuhl bequem gemacht hatte, allein zu Hause. Infolge der Chemotherapie hatte Ma Sukhi all ihr weiches, weißes Haar verloren, und ihr glatter Schädel glänzte in der Morgensonne. Obwohl es draußen warm war, fror sie, also hatte Amrinder ihr eine leichte Decke um die Schultern und über die Beine gelegt. Amrinders Mutter war früher eine große, stimmgewaltige Frau gewesen, um deren Person sich bei den Elternabenden in der Schule alles gedreht hatte. Es war schon tragisch, sie zu einem kleinen, zusammengeschnurrten Bündel reduziert zu sehen, doch ihr Verstand schien noch so messerscharf wie eh und je, und ihre geschulte Lehrerinnenstimme hatte ebenfalls nichts von ihrer Kraft eingebüßt.
    Â» Oye, Simran di bachchi , komm her und lass dich in die Arme schließen.«
    Ich gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange; sie verströmte einen leicht abgestandenen Duft von Ponds-Dreamflower -Puder, in den sich Uringeruch mischte – das waren eben die Demütigungen, die man erdulden musste, wenn man alt wurde und die Inkontinenz einen heimsuchte. Wer hätte je gedacht, dass diese wüste Streitaxt einmal um Zuneigung buhlen würde?
    Â»Du machst deiner armen Mutter immer noch Kummer, was? Wie ich höre, ziehst du es vor, die Sozialarbeiterin zu spielen, anstatt dich anständig zu verheiraten. Sieh dir doch mal Amrinder an – aber die war ja auch schon in der Schule immer besser als du. Sieh dir an, was aus ihr geworden ist – zwei reizende Kinder, ein reizender Ehemann, ein reizendes Haus und du … dein Haar wird bald weiß, und du glaubst, du kannst immer noch so herumrennen, als wärest du gerade sechzehn.«
    Sie ließ mir nicht einmal die Möglichkeit, sie zu unterbrechen. Außerdem entsprach ja jedes ihrer Worte leider auch der Wahrheit.
    Amrinder sah mich etwas ratlos an.
    Â»Mach dir keine Sorgen, Tantchen. Ich setze eine Annonce in die Zeitung. Vielleicht finde ich auf die Weise einen Göttergatten.«
    Â»Hast du denn immer noch keinen Freund?«
    Â»Lass sie in Ruhe, Mutter. Sie ist gekommen, um dich zu besuchen und nicht, um sich Vorhaltungen machen zu lassen. Sieh dir doch bloß mal die herrlichen Blumen an, die sie dir mitgebracht hat.«
    Â»Sehr hübsch, aber mir tut trotzdem ihre Mutter leid. Erst wird sie Witwe, und dann ist sie noch mit dieser Tochter gestraft …«
    Â»Ich denke, es war doch wohl eher anders herum, nicht wahr?«
    Â»Sei nicht so frech!« Endlich erschien ein Lächeln in dem schmalen Gesicht. Sie konnte Gott dafür danken, dass er ihr die Kraft gab, sich nicht unterkriegen zu lassen. Das erhielt sie am Leben.
    Â»Ich bin gekommen, um euch um eure Hilfe zu bitten … du hast doch von dem Atwal-Fall gehört?«
    Â»Oh je, diese bedauernswerten Menschen … Gott vergib ihnen ihre Sünden. Und dieses schreckliche Mädchen. Wie kann man nur seine eigenen Eltern umbringen! Sie war in diesen Mann verliebt, musst du wissen. In diesen Hauslehrer. Er hatte eine Affäre mit ihrer Schwester, und dann hat er das Gleiche auch mit ihr versucht. Sie war ihm hörig.«
    Ich sah Tantchen an. Im Punjab nennt man Frauen, die älter sind als man selbst, »Tantchen«. Ältere Männer heißen dementsprechend »Onkel«. Früher gab es noch komplexere Begriffe, um Beziehungen zwischen Personen zu beschreiben, doch mit der Kolonialisierung und der um sich greifenden Begeisterung für westliche Terminologien verlor der traditionelle Wortschatz zunehmend an Bedeutung und wurde durch universell anwendbare Begriffe wie eben »Tantchen« ersetzt. So ging von unserem bunten Punjabi immer mehr zugunsten eines wesentlich nichtssagenderen Englisch verloren. Dementsprechend bestand zwischen Tantchen und mir natürlich überhaupt keine verwandtschaftliche Beziehung, und in diesem Augenblick war ich auch ausgesprochen froh darüber. Ihre Krankheit hatte sie zwar gebrechlich werden lassen, aber sie nahm noch immer kein Blatt vor den Mund – wobei an dem, was sie sagte, auf eine etwas beängstigende Weise doch auch etwas Wahres dran war. Ich hatte das Gefühl, dass in diesem Moment weitere Teile des Puzzles an ihre Stelle rückten, um sich zu einem Gesamtbild hinzuzufügen. Auch ich hatte mich von dem Charme des Hauslehrers, seinem sanften Habitus und seinem intelligenten, hübschen Gesicht mit den

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