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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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ihr.«
    Â»Und was ist mit diesem Foto hier?«
    Ich holte das Bild von dem nackten Mädchen auf dem Bett hervor. Im ersten Moment wirkte Durga sehr bestürzt, dann aber beinahe erleichtert.
    Â»Wo hast du das her?«
    Â»Ich habe es zwischen deinen Büchern gefunden. Ist das auch deine Schwester?«
    Sie nickte. Sie schien noch etwas sagen zu wollen, behielt es dann aber für sich.
    Â»Und weißt du zufällig auch, wo dieses Foto aufgenommen wurde?«
    Â»Nein.«
    Â»Gar keine Idee?«
    Â»Lass mich nachdenken. Darf ich jetzt gehen? Ich bin sehr müde.«
    Ich hatte das Foto bereits auf meinem Laptop eingescannt, also sagte ich ihr, sie könne es behalten.
    Â»Du solltest aber gut darauf aufpassen. Jemand hat Abzüge davon auch an ein paar Journalisten geschickt, also kann es sein, dass jemand deine Eltern damit erpresst hat. Möglicherweise wollte man ihren Ruf schädigen. Oder könnte es sein, dass deine Schwester entführt worden ist?«
    Sie schob das Foto in den Deckel der Konfektschachtel und klappte sie fest zu. Dann erhob sie sich und ging langsam zur Tür hinaus. Für ihre vierzehn Lebensjahre hatte Durga wahrscheinlich viel zu viel gesehen.
    â—† ◆ ◆
    An [email protected]
    Hallo, wollte dir nur kurz sagen, dass ich eine vielversprechende Unterhaltung mit Durga hatte und endlich ein wenig hinter das Geheimnis blicke. Halte dich auf dem Laufenden. Schick mir Bilder von Mandy, und ich gebe sie dann Durga. Das wird ihr neuen Mut machen. Simi.
    An [email protected]
    Klasse Neuigkeiten. Ich hänge ein Foto von Mandy und Rahul an. Meine beiden süßen Kinder. Bitte zeige es meinem Engel.
    Alles Liebe

11. KAPITEL
    22. September 2007
    Auf mancherlei Weise war Sharda der Grund, warum ich zu mir selbst gefunden und mich gleich wieder verloren habe. Sie war für mich wie meine Mutter, denn nach dem Erlebnis mit der skelettierten Hand, die für mich ebenso sehr meine eigene gewesen war wie die meiner Schwester, habe ich immer wieder von den Kindern geträumt, die meine wirkliche Mutter begraben hatte. An Ammiji mit ihrem schönen weißen Gesicht und ihrer friedlichen Gelassenheit hätte nie im Leben jemand die grausamen Finger vermutet, mit denen sie meine Schwestern getötet hat.
    Sie wirkte so vergeistigt, betete ständig oder sang Mantras – nur ein Mal habe ich sie dabei ertappt, wie sie an der Stelle hinter dem Haus, wo wir die Geisterhand gefunden hatten, heimlich Blumen auf dem Boden niederlegte. Danach hat man sie zur Buße auf eine Pilgerreise geschickt.
    Was nützte es, darauf hinzuweisen, was Guru Nanak, der Begründer unserer Religion, gepredigt hatte, oder sich den ganzen Mist über die Gleichstellung von Mann und Frau anzuhören, von dem ständig im Fernsehen die Rede war? Der Sikhismus ist eine der wenigen Religionen, die diese Gleichstellung tatsächlich zum Dogma macht. Die Frauen in unserem Haus jedoch wurden unter Drohungen dazu gezwungen, sich in ihre untergeordnete Position zu fügen, und selbst eine gebildete Frau wie meine Mutter, die mit einem etwas aufgesetzten englischen Akzent über die weibliche Emanzipationsbewegung und das Frauenwahlrecht zu diskutieren wusste, hatte sich dem unterwerfen müssen. Wir alle erinnerten uns an eine Zeit, während der sie nie zum Ess en erschien, sondern stattdessen im Bett lag und darauf wartete, dass die Wunden verheilten, den Blick schweigend zum Fenster gerichtet. Ja, so ging es zu bei uns im Geisterhaus, und so wäre es wohl auch auf ewig geblieben. Theoretisch hätte meine Mutter sich wohl uns Kinder schnappen und aus diesem Haus verschwinden können, aber möglicherweise konnte sie eine solche Trennung von ihrer Familie nicht verkraften, konnte sich wohl ein Leben ohne den Status des Verheiratetseins nicht vorstellen und hatte auch nie in ihrem Leben gearbeitet. Sie hatte eine Heidenangst davor, dass dieser Umstand aller Welt offenbart würde, und so fehlte ihr einfach der Mut dazu, einen solch schwierigen Weg zu beschreiten. Sie wollte auch nicht, dass die Welt erfuhr, wer wirklich hinter der Maske steckte, die mein Vater jeden Tag aufsetzte. Diese Schande wäre ihrer beider Tod gewesen.
    Um ehrlich zu sein – ich liebte sie immer noch. Doch von Sharda hatte ich gelernt, dieser Liebe auf den Grund zu gehen, indem ich sie schälte wie einen Apfel, die einzelnen Schichten der Falschheit und Scheinheiligkeit entfernte,

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