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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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ein ansehnliches Erbe hinterlassen hat, oder irre ich mich da? Waren darunter nicht auch Häuser und Autos … hast du dein ganzes Vermögen in so kurzer Zeit durchgebracht?« Er neckte mich, weil er wusste, dass ich wegen der Distanz, die er seit meiner Ankunft in Jullundur zu mir gewahrt hatte, immer noch sauer auf ihn war. Ich tat so, als hätte ich ihn nicht verstanden.
    Â»Was für dich ein willkommener Grund wäre, mich nicht für meine Arbeit zu bezahlen?«
    Â»Das ist nicht fair. Du bist diejenige, die sagte, sie würde kein Schutzgeld annehmen. Das waren exakt deine Worte.«
    Ich konnte nicht umhin, verhalten darüber zu lachen. Ich kannte dieses halb flirtende Gekabbel zwischen ihm und mir nur zu gut. Ein Überbleibsel aus unseren College-Tagen, als er sich in mich verliebte, ich ihn aber mit meiner besten Freundin verkuppelt habe. Er hat gesagt, dass er mir das nie verzeihen würde – obwohl er sie dann später doch geheiratet hat. Nach zwei Kindern und einer Trennung auf Probe waren sie so eben gerade wieder ein Paar, wenn auch mit unterschiedlichen Wohnorten. Ich habe nie gewusst, auf wessen Seite ich mich stellen sollte, kam aber nichtsdestotrotz erstaunlich gut mit allen beiden aus. Schwierig wurde es nur dann, wenn Amarjit mich gelegentlich als Vorwand benutzte, seine Frau zu verlassen, wenn der Haussegen mal wieder schief hing – so hat er es mir gegenüber zumindest immer dargestellt. Und selbst wenn das gelogen war, war es doch ein Kompliment, zu wissen, dass jemand einen über einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren aus der Ferne lieben konnte, ohne jemals irgendetwas zu fordern.
    Was seine Frau betraf, so konnte sie sich sicher sein, dass er ihr nie wehtun würde, also betrachtete sie unsere Freundschaft so, wie sie auch gedacht war: als etwas, dessen volles Potenzial niemals ganz ausgeschöpft werden würde.
    Â»Ich hatte gerade eine sehr unangenehme Begegnung mit Ma Sukhi, Amrinders Mutter. Sie ist immer noch so verbiestert wie eh und je, und Amrinder bestätigt wieder einmal, dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt.«
    Â»Ihr Ehemann steht kurz vor der Beförderung. Und es hängt dabei für ihn viel von diesem Fall ab. Nun kennst du den Grund.«
    Â»Ich weiß. Sag mir, Amarjit, gibt es in dieser ganzen Geschichte etwas, bei dem du das Gefühl hast, dass man es mir hätte mitteilen müssen?«
    Einen Augenblick lang legte sich der Ausdruck eines gewissen Überdrusses über seine Miene. Dann wiederholte er, was Amrinder mir vor einer halben Stunde vorgehalten hatte.
    Â»Wärest du in dieser Stadt geblieben und hättest ihr nicht vor zwanzig Jahren den Rücken gekehrt, bräuchtest du mir diese Frage heute nicht zu stellen.«
    Â»Wollen wir zusammen zu Abend essen und dem hiesigen Tratsch neue Nahrung geben?«
    Â»Ich wünschte, ich könnte, aber wegen dieser jüngsten Bombenanschläge ist für morgen ein Krisentreffen der obersten Sicherheitskräfte beim Premierminister anberaumt. Eigentlich bin ich jetzt bereits auf dem Weg nach Delhi und dachte, ich könnte wenigstens einen kurzen Schwatz mit dir halten, als ich dich in dieser schäbigen Rikscha erblickte. Du fehlst mir immer noch, weißt du.«
    Â»Ach, ja …« Unwillkürlich lehnte ich mich zurück und gab einen Seufzer von mir. Dann sah ich ihn ratlos an. Amarjit war das, was man in Indien als cut surd bezeichnete; das bedeutete, dass er sich als Sikh den Bart rasieren konnte, ohne gleich als Abtrünniger zu gelten. Mit seiner leicht schiefen Nase und den schmalen, ebenfalls nicht ganz ebenmäßigen Lippen sah er nicht wirklich gut aus. Sein Blick verdüsterte sich ein wenig, als er den meinen erwiderte. Wir teilten zu viele gemeinsame Erinnerungen, um nicht sofort auf einer Wellenlänge zu sein.
    Inzwischen waren wir am Untersuchungsgefängnis angekommen. Während die Wachen vor dem Tor salutierten und die Limousine durchließen, tauschten Amarjit und ich noch einen weiteren langen Blick aus, und er zog die Augenbrauen in die Höhe. Wir konnten nicht wirklich etwas zueinander sagen, denn wir wussten beide nur zu gut, dass der Fahrer vorne die Ohren spitzte. Außerdem fiel mir an diesem Punkt auch gar nichts ein. Alles, was ich mir wünschte, war die beruhigende Erkenntnis, dass ich immer noch jemanden hatte, auf dessen Unterstützung ich zählen konnte, jemanden, der an mich glaubte.

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