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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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selbstgefälliger Tonfall erweckte in mir den Wunsch, ihm jede Menge Knüppel zwischen die Beine zu werfen, aber ich war aus einem anderen Grund hergekommen. Ich wollte, dass dieses tote Gemäuer mir sein Geheimnis verriet. Irgendwo zwischen seinen Wänden war die wahre Geschichte dessen, was sich in jener Nacht abgespielt hatte, verborgen. Mir war klar, dass ich nicht das Recht hatte, mich über die Vernichtung von Beweisen zu beschweren, und auch, dass es nur böses Blut gäbe, wenn ich etwas Gurmit gegenüber äußerte oder mich in seine Story einmischte. Dies war Ramnaths große Stunde, und ich durfte sie ihm nicht verderben.
    Den Bruchteil einer Sekunde lang allerdings war ich durchaus versucht, ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen – ganz besonders, als ich an Amrinder und Ma Sukhi denken musste. Ich stellte mir ihre Gesichter und ihre Enttäuschung vor, falls Ramnath seine große Chance verpatzen würde. Aber dann wandte ich mich entschlossen ab und zwang mich, den Korridor in die andere Richtung hinunterzugehen.
    Dort fand ich mich auf einer langgestreckten, von mehreren Säulen gestützten Veranda wieder, von der man einen Blick auf ein weitläufiges, für die Aussaat vorbereitetes Feld hatte. Doch nun lag es brach da, weil seine Besitzer offenbar keine Instruktionen hinterlassen hatten, was hier gepflanzt werden sollte. Von Manubhai war keine Spur zu entdecken, aber ich interessierte mich auch viel mehr für die Hunde, die sich heute merkwürdig ruhig verhielten, und natürlich für Manubhais Töchter.
    Die Quartiere für die Bediensteten befanden sich in großen Häusern wie diesem meistens irgendwo im hinteren Gebäudeteil. Im Vorbeigehen öffnete ich Türen und schloss sie wieder und versuchte dabei, vor meinem geistigen Auge einen Grundriss des Gebäudes zu zeichnen. In einem der größeren Räume lag ein Guru Granth Sahib , das spirituelle Vermächtnis des Gründers des Sikhismus, immer noch aufgeschlagen auf einem Schreibtisch. Es heißt, wenn man dieses Werk frühmorgens und in andächtiger Stimmung an einer beliebigen Stelle aufschlägt, erhält man etwas, was sich »Hukumnama« nennt, sozusagen die Weisungen für den beginnenden Tag. Ich hätte gerne gewusst, was die Familie an dem Tag ihrer gemeinschaftlichen Ermordung hier zu lesen bekommen hatte.
    Das Gift war ihnen verabreicht worden, indem man es in ihr Essen gemischt hatte, und zwar in einer hohen Dosierung. Allerdings war dazu wesentlich mehr Gift vonnöten, als Durga sich besorgt hatte. Ich ging in die Küche und versuchte, mich in jenen Abend hineinzuversetzen. Die Bediensteten hatten praktischerweise ihren freien Tag, und das Essen war bereits vorbereitet. Also musste das Gift den Speisen während des Aufwärmens beigemischt worden sein, falls dies nicht bereits früher am Tag geschehen war. So lautete jedenfalls die Hypothese der Polizei. Natürlich gab es die Frage, ob Durga einen Komplizen gehabt hatte – wenn sie es denn überhaupt gewesen war. Während ich mich in der riesengroßen Küche und im Speisezimmer umschaute, kam ich mehr und mehr zu dem Ergebnis, dass Durga die Tat gar nicht alleine begangen haben konnte . Die Polizei suchte jedoch gar nicht erst nach einem oder sogar mehreren weiteren Verdächtigen.
    Wie war es Durga gelungen, sich dem Abendessen zu entziehen? Ich erinnerte mich, dass sie mir gesagt hatte, ihr wäre unwohl gewesen und sie hätte sich vor dem Essen in ihrem Zimmer schlafen gelegt. Ich versuchte, mir Durga in ihrem Schlafzimmer vorzustellen. Was hatte sie da gemacht? Hätte sie es dort hören können, wenn im Esszimmer jemand aufgeschrien hätte, vielleicht um Hilfe? Sie hatte ausgesagt, sie wäre unter Drogen gesetzt, vergiftet und dann vergewaltigt worden. Über Ersteres schwieg sich die Polizeiakte aus, aber es waren Spuren von Gift in ihrem Körper und Anzeichen brutalen Geschlechtsverkehrs beziehungsweise einer Vergewaltigung an ihr gefunden worden. An diesem Abend hatte ein länger andauerndes Unwetter geherrscht, so dass sowohl Durgas Schreie als auch die ihrer sterbenden Angehörigen vom Gewitterdonner oder dem Prasseln des Regens verschluckt worden sein könnten.
    Im Esszimmer musste völliges Chaos geherrscht haben – Blut und Erbrochenes waren über den ganzen Fußboden verteilt gewesen. Das war vermutlich auch die Ursache für den Tod

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