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Die Überlebenden der Kerry Dancer

Die Überlebenden der Kerry Dancer

Titel: Die Überlebenden der Kerry Dancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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hatte, und versanken dann erneut im Schweigen der Melancholie. Lena, die junge Malaiin, war schwermütig und gänzlich uninteressiert; sie sprach überhaupt nicht mehr, weder mit sich selbst noch zu irgendeinem anderen. Der mohammedanische Priester dagegen zeigte keinerlei Melancholie und auch sonst keinerlei Gemütsbewegung, verhielt sich aber die ganze Zeit schweigend; allerdings hatte er auch vorher nie etwas gesagt, so daß sich also über seinen Zustand nichts feststellen ließ. Auch bei Gordon war es nicht möglich, eine zuverlässige Diagnose zu stellen; jetzt grinste er über das ganze Gesicht, während er vor sich hinstarrte, ohne etwas zu sehen – und im nächsten Augenblick ließ er den Kopf sinken und saß da in regungsloser Verzweiflung. Nicolson, der Gordons Durchtriebenheit gegenüber mißtrauisch war und mehr als einmal versucht hatte – allerdings erfolglos – Findhorn dazu zu überreden, ihn zum Teufel zu jagen, beobachtete ihn mit ausdrucksloser Miene; möglicherweise waren die Symptome echt. Doch es konnten genausogut die Symptome eines Mannes sein, der irgendeinen halbwissenschaftlichen Zeitungsaufsatz über die Merkmale der manischen Depression gelesen und die Sache nicht ganz mitbekommen hatte. Was jedoch den jungen Soldaten anging, Alex Sinclair, so war in diesem Fall ein Zweifel leider nicht möglich; er hatte jeglichen Kontakt mit der Realität verloren, war wirklich von Sinnen und zeigte alle klassischen Symptome einer akuten Schizophrenie.
    Doch der physische und psychische Zusammenbruch war nicht vollkommen, er erfaßte noch nicht alle. Außer Nicolson gab es noch zwei Männer, die keinerlei Anzeichen von Schwäche oder Zweifel oder gar Verzweiflung erkennen ließen. Das waren der Bootsmann und der Brigadier. McKinnon war nach wie vor der alte, unverändert und offenbar durch nichts zu erschüttern, hatte immer noch sein bedächtiges Lächeln und seine gemütliche Sprechweise, und er hielt nach wie vor die Pistole in der Hand. Und dann der Brigadier – Nicolson mußte wohl zum hundertstenmal zu ihm hinsehen und schüttelte verwundert den Kopf. Farnholme war einfach großartig. Je mehr ihre Lage sich verschlimmerte, je hoffnungsloser sie wurde, desto großartiger wurde der Brigadier. Wenn es galt, Schmerz zu lindern, die Lage eines Kranken zu erleichtern oder ihn gegen die Sonne zu schützen, wenn Wasser geschöpft werden mußte – es war mittlerweile ziemlich selten, daß die Bodenbretter nicht vom Wasser bedeckt waren, und in der ersten Nacht auf der Insel hatte ein Zufallstreffer die Handpumpe unbrauchbar gemacht –, dann war der Brigadier zur Stelle, griff helfend zu, sprach ermutigende Worte, lächelte und arbeitete, ohne sich zu beklagen und ohne Dank oder Lohn zu erwarten. Für einen Mann seines Alters – Farnholme mußte weit über sechzig sein – war das eine geradezu unglaubliche Leistung. Nicolson beobachtete ihn mit einer Mischung aus Verblüffung und Faszination. Der großsprecherische, alberne Colonel Bumm, den er an Bord der sinkenden Kerry Dancer kennengelernt hatte – es schien, als hätte es ihn nie gegeben. Seltsamerweise hatte sich auch seine affektiert gedehnte Sprechweise völlig verloren, so daß sich Nicolson bei der Frage ertappte, ob er sich das etwa nur eingebildet habe. Jedenfalls stand außer Frage, daß die militaristischen Ausdrücke und die viktorianischen Flüche, mit denen die Rede des Brigadiers noch vor einer Woche gespickt gewesen waren, jetzt so selten geworden waren, daß es direkt auffiel, wenn er doch einmal einen derartigen Ausdruck gebrauchte. Und der vielleicht überzeugendste Beweis seiner Konversion – falls das der richtige Ausdruck dafür war – war der Umstand, daß er Miss Plenderleith gegenüber nicht nur das Kriegsbeil begraben hatte, sondern daß er die meiste Zeit neben ihr saß und leise mit ihr sprach. Miss Plenderleith war inzwischen sehr schwach geworden, wenn auch ihre spitze Zunge nichts von ihrer Bissigkeit verloren hatte. Sie nahm die zahllosen kleinen Dienste, die Farnholme ihr erwies, mit Dankbarkeit an. Die beiden saßen auch jetzt zusammen, und Nicolson sah zu ihnen hin, ohne eine Miene zu verziehen, mußte aber heimlich lächeln. Wären die beiden dreißig Jahre jünger gewesen, so hätte er wetten mögen, daß der Brigadier in bezug auf Miss Plenderleith Absichten hätte – natürlich ehrliche Absichten.
    Irgend etwas bewegte sich an seinen Knien, und Nicolson sah nach unten, dorthin, wo Gudrun

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