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Die Überlebenden der Kerry Dancer

Die Überlebenden der Kerry Dancer

Titel: Die Überlebenden der Kerry Dancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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brachte – und über diesen Rand hinaustrieb.
    Der ursprüngliche Geist der Kameradschaft war verschwunden, so völlig, als hätte es ihn nie gegeben. Wenn zu Anfang jeder bemüht gewesen war, dem anderen zu helfen, so dachten jetzt die meisten nur noch an sich selbst und waren dem Wohl der anderen gegenüber völlig gleichgültig. Wenn jeder seine kümmerliche Ration Wasser oder Dosenmilch oder Rohrzucker zugeteilt bekam – der Zwieback war schon vor zwei Tagen zu Ende gewesen – dann verfolgte ein Dutzend gieriger, feindseliger Augen jede Bewegung der abgemagerten, hastig zupackenden Hände und der verdursteten, rissigen Lippen und wachten eifrig darüber, daß jeder genau das bekam, was ihm zustand, und nicht einen Tropfen oder Bissen mehr. Und besonders schrecklich war es, diese hungrige Gier zu sehen, die sich in blutunterlaufenen Augen zeigte, und wie die dunkel verbrannten, ausgemergelten Hände sich verkrampften, daß die Knöchel weißlich hervortraten, wenn der kleine Peter außer der Reihe etwas zu trinken bekam und ein wenig von dem Wasser an seinem Kinn herunterlief und auf das heiße Holz der Bank tropfte, wo es fast augenblicklich verdampfte. Die meisten befanden sich mittlerweile in einem Zustand, in dem ihnen der Tod geradezu verlockend erschien, verglichen mit der unerträglichen Folter ihres Durstes. Es hatte seinen guten Grund, wenn McKinnon die Pistole nicht aus der Hand ließ.
    Noch schlimmer als der moralische Zusammenbruch war die Verschlechterung der körperlichen Verfassung. Kapitän Findhorn lag in einem tiefen, einer Ohnmacht ähnlichen Schlaf, warf sich aber unruhig hin und her, von Schmerzen gequält, und Nicolson hatte ihn vorsichtshalber mit einer Leine locker am Dollbord und an einer der Duchten angebunden. Jenkins war gleichfalls festgebunden, obwohl er noch bei Bewußtsein war. Er war bei Bewußtsein, doch in einer einsamen Hölle unbeschreiblicher Qual; es gab keine Bandagen mehr, keinerlei Schutz für die schrecklichen Verbrennungen, die er sich zugezogen hatte, bevor er von Bord der Viroma gegangen war. Die sengende Sonne hatte jeden Zentimeter des rohen Fleisches aufgerissen, bis Jenkins vor Schmerz wahnsinnig wurde. Seine Hände hatten sich in das geschundene, brennende Fleisch gekrallt, daß die Fingernägel rot waren vom Blut. Man hatte ihm die Hände zusammengebunden und das Seil an einer Ducht festgemacht. Nicht so sehr, um zu verhindern, daß er, rasend vor Schmerz, weiter seine Brandwunden zerkratzte, sondern um ihn daran zu hindern, über Bord zu springen, wie er das schon zweimal versucht hatte. Er konnte minutenlang unbeweglich dasitzen, um dann mit aller Kraft an den Stricken zu zerren, mit denen seine blutenden Handgelenke gefesselt waren, während er vor Schmerz rasch und keuchend atmete. Nicolson war schon so weit, sich ernstlich zu fragen, ob er ihn nicht einfach losschneiden sollte, und was für eine moralische Berechtigung er eigentlich habe, Jenkins dazu zu verurteilen, langsam und qualvoll auf der Folter zu sterben, statt ihm zu erlauben, einfach Schluß zu machen, einen raschen, sauberen Schluß, indem er kurzerhand über Bord sprang. Denn sterben würde er ohnehin; er war schon vom Tode gezeichnet.
    Die Wunde, die Evans am Arm hatte, und das übel zugerichtete Handgelenk von Walters wurden von Tag zu Tag schlimmer. Es gab kein Verbandszeug, keine Medikamente mehr. Die eigenen Abwehrkräfte der Verwundeten waren gleichfalls verbraucht, und durch das Salzwasser, das in den zerschlissenen Verbänden getrocknet war, hatten sich die offenen Wunden entzündet. Bei van Effen sah die Sache etwas besser aus, doch seine Verwundung war jüngeren Datums, und er verfügte außerdem über eine angeborene Zähigkeit und Widerstandsfähigkeit, die weit über das Normalmaß hinausgingen; er konnte stundenlang unbeweglich unten im Boot liegen, die Schultern gegen die Ducht gelehnt, und nach vorn starren. Es schien, als habe er einen Zustand erreicht, in dem er keinen Schlaf mehr brauchte.
    Am schlimmsten war der psychische Zusammenbruch. Vannier und der alte Willoughby waren noch nicht wirklich von Sinnen, beide aber zeigten die gleichen Symptome eines zunehmenden Mangels an Kontakt mit der Realität, die gleichen langen Perioden in-sich-gekehrten melancholischen Schweigens, unterbrochen durch gelegentliche halblaute Selbstgespräche. Beide lächelten verlegen und wie um Entschuldigung bittend, wenn ihnen klar wurde, daß ein anderer ihr leises Selbstgespräch gehört

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