Die Überlebenden der Kerry Dancer
Eingang des Versammlungshauses nach draußen fiel, während der übrige Körper in der Dunkelheit verschwand.
Doch Nicolson hatte für den Bootsmann nur einen flüchtigen Blick übrig, und für die wachsamen Posten, die hinter ihnen hockten oder mit dem Rücken an der Wand neben dem Eingang lehnten, hatte er überhaupt keine Augen. Im Augenblick hatte er Augen ausschließlich für die Rednertribüne, für die Männer, die dort saßen, und denken konnte er an nichts anderes als an seine sträfliche Dummheit und törichte Zimperlichkeit, an seine fahrlässige Unterlassungssünde, durch die es für sie alle, für Gudrun und Peter und Findhorn und all die anderen, zu diesem bitteren Ende gekommen war.
Auf der Bühne stand eine niedrige Bank, auf dieser Bank saß Hauptmann Yamata, und der Mann, der neben ihm saß, war Siran. Ein triumphierend grinsender Siran, der es nicht mehr für nötig hielt, seine Gefühle hinter der Maske der Gleichgültigkeit zu verbergen. Er schien mit dem breit lächelnden Yamata auf bestem Fuß zu stehen, und er zog von Zeit zu Zeit einen langen, schwarzen Stumpen aus seinem blitzenden Gebiß und blies eine verächtliche Rauchwolke in Nicolsons Richtung. Nicolson starrte ihn an mit düsterem Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. Sein erstarrtes Gesicht zeigte keinen Ausdruck, doch in seinem Herzen war Mord.
Es war so klar, so grausam offensichtlich, was da geschehen war. Siran hatte so getan, als sei er von der Stelle, wo sie gestrandet waren, nach Norden gegangen – ein Täuschungsmanöver, mußte Nicolson erbittert denken, das jedes Kind hätte durchschauen sollen. Siran war offenbar ein kleines Stück nach Norden gegangen, hatte sich dort versteckt und gewartet, bis sich die Männer mit den Tragbahren in Bewegung gesetzt hatten, war ihnen heimlich gefolgt, an dem Dorf vorbei weitergegangen nach Bantuk und hatte dort alles der japanischen Kommandantur gemeldet. Es war von Anfang an so eindeutig gewesen, so klar, was Siran tun würde, was er geradezu zwangsläufig tun mußte, daß jeder Idiot es voraussehen und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen hätte ergreifen können. Wobei diese Vorsichtsmaßnahmen darin hätten bestehen müssen, Siran zu erschießen. Doch er, Nicolson, hatte es fahrlässig und schuldhaft unterlassen, diese Maßnahmen zu treffen. Sollte er jemals wieder die Möglichkeit dazu haben, das wußte er jetzt, so würde er Siran genauso ungerührt über den Haufen schießen, wie er auf eine Schlange oder nach einer alten Konservendose schoß. Er wußte aber auch, daß er diese Möglichkeit nie wieder haben würde.
Langsam und so mühsam, als müsse er eine magnetische Anziehungskraft überwinden, löste Nicolson seinen starrenden Blick von Sirans Gesicht. Er sah in die Runde. Gudrun, Peter, Miss Plenderleith, Findhorn, Willoughby, Vannier – sie alle waren da, waren alle erschöpft, krank und leidend, doch fast alle waren ruhig und gefaßt, resigniert und ohne Furcht. Er verspürte eine geradezu unerträgliche Bitterkeit. Sie alle hatten ihm vertraut, rückhaltlos vertraut, hatten sich blind darauf verlassen, daß er alles tun würde, was in seiner Macht stand, um sie wohlbehalten heimkehren zu lassen. Sie hatten ihm vertraut, und nun würde keiner von ihnen jemals die Heimat wiedersehen. Er wandte den Blick von ihnen ab und sah zu der Rednerbühne hin. Hauptmann Yamata hatte sich erhoben und stand da, die eine Hand am Koppel, während die andere auf dem Griff seines Schwertes ruhte.
»Ich will Sie nicht lange aufhalten.« Seine Stimme war ruhig und präzis. »In zehn Minuten fahren wir ab nach Bantuk. Wir fahren nach Bantuk, um dort meinen Kommandeur zu treffen, Oberst Kiseki, der Sie alle schon mit großer Ungeduld erwartet: Oberst Kiseki hatte einen Sohn, und dieser Sohn war der Kommandant des erbeuteten amerikanischen Motortorpedobootes, das man Ihnen entgegengeschickt hatte.« Er bemerkte, wie die Gefangenen nach Luft schnappten und kurze Blicke untereinander tauschten. Auf seinem Gesicht erschien ein leises Lächeln. »Es wäre ein vergeblicher Versuch, wenn Sie es abstreiten wollten. Kapitän Siran hier wird einen ausgezeichneten Zeugen abgeben. Oberst Kiseki ist rasend, so sehr schmerzt ihn der Tod seines Sohnes. Es wäre besser für Sie – für Sie alle, für jeden einzelnen von Ihnen – nicht geboren zu sein.«
»Nur noch zehn Minuten«, fuhr er mit höhnischer Glätte fort. »Länger werde ich Sie nicht aufhalten. Aber da ist eine Sache, die wir hier erst
Weitere Kostenlose Bücher