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Die Überlebenden der Kerry Dancer

Die Überlebenden der Kerry Dancer

Titel: Die Überlebenden der Kerry Dancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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Nicolson sich unwillkürlich vorbeugte, um ihn zu verstehen.
    »Man hat mich gut bezahlt, Mister Nicolson.« Telak kam einen Schritt nach vorn und wandte sich halb herum, so daß das Licht, das aus der Tür der Hütte fiel, plötzlich die eine Seite seines Gesichts und seiner Gestalt beleuchtete. Die linke Hälfte seines Gesichts, Hals, Arm und Oberkörper waren übel zugerichtet von Schwerthieben oder Bajonettstichen, so dicht, daß sich nicht feststellen ließ, wo die eine Wunde endete und die andere begann; die ganze Seite schien blutüberströmt, und Nicolson sah, wie das Blut herunterrann und lautlos auf die festgetretene Erde des Kampongs tropfte. »Man hat mich gut bezahlt«, wiederholte Telak tonlos. »Mein Vater ist tot, Trikah ist tot. Viele von unseren Leuten sind tot. Wir wurden verraten, und man hat uns überfallen.«
    Nicolson starrte ihn sprachlos an, und sein Denken setzte für einen Augenblick aus, als er Telak so vor sich sah. Und auch jetzt entdeckte er ein japanisches Bajonett, das nur wenige Zentimeter von Telaks Rücken entfernt war, nein, nicht eins, sondern zwei – Telak hatte sich zweifellos kräftig zur Wehr gesetzt, bevor sie ihn niederschlagen konnten. Und dann setzte sein Denken wieder ein, und mit dem Denken kam das Erschrecken und das Bedauern, daß es dazu hatte kommen sollen, daß die Menschen, die sich so selbstlos ihrer angenommen hatten, so schlimm und so rasch dafür bestraft worden waren. Im nächsten Augenblick überkam ihn bittere Reue der Worte wegen, die er eben ausgesprochen hatte, diese Worte, die eine so ungeheuerliche und ungerechte Anschuldigung enthalten hatten und für Telak die letzten Tropfen gewesen sein mußten, die das Maß seines Leids und seiner Bitterkeit vollmachten. Nicolson öffnete den Mund zum Sprechen, doch was herauskam, waren keine Worte, sondern nur ein Ächzen, da ihm im gleichen Augenblick von neuem der Kolben in den Rücken stieß, und gleichzeitig mit diesem Ächzen unterdrückten Schmerzes kam das leise, bösartige Lachen Yamatas durch die Dunkelheit.
    Der japanische Offizier hatte sein Gewehr wieder umgedreht und trieb Nicolson mit der zustoßenden Spitze seines Bajonetts quer über das Kampong. Nicolson sah, wie die anderen vor ihm durch das hell erleuchtete Rechteck getrieben wurden, den Eingang zum Versammlungshaus des Ältestenrats. Einige der anderen waren bereits durch die Tür verschwunden. Soeben ging Miss Plenderleith hinein, gefolgt von Lena, dann kam Gudrun mit Peter und dicht dahinter der Bootsmann und van Effen. Kurz vor dem Eingang stolperte Gudrun über irgend etwas, verlor durch das Gewicht des Jungen auf ihrem Arm das Gleichgewicht und wäre um ein Haar hingefallen. Der Posten hinter ihr ergriff sie bei der Schulter und stieß sie heftig nach vorn. Möglicherweise hatte er dabei die Absicht gehabt, sie durch den Eingang zu stoßen, doch dann hatte er jedenfalls schlecht gezielt, denn das Mädchen und das Kind prallten beide heftig gegen den Türrahmen. Selbst auf die Entfernung von fast sechs Meter konnte Nicolson den dumpfen Knall hören, mit dem der Kopf oder vielleicht auch die Köpfe gegen das harte Holz stießen. Er hörte den Aufschrei des Mädchens und die schrille Stimme des kleinen Peter, der vor Schreck oder vor Schmerz schrie. McKinnon, der knapp anderthalb Meter hinter dem Mädchen war, brüllte irgend etwas, was Nicolson nicht verstehen konnte – vermutlich in dem gälischen Idiom seiner Heimat –, nahm einen kurzen Anlauf und machte einen Satz auf den Posten zu, der das Mädchen gestoßen hatte; doch der Soldat hinter ihm, der mit dem Kolben seines Gewehrs ausholte, war noch schneller als er.
    Das Versammlungshaus, jetzt hell erleuchtet von einem halben Dutzend Öllampen, war ein großer, hoher Raum, neun Meter breit und sechs Meter tief. Der Eingang war in der Mitte in der einen Längswand, rechts davon war die erhöhte Tribüne für die Versammlung der Ältesten, und hinter dieser Rednerbühne war eine zweite Tür, die hinausführte auf das Kampong. Im übrigen war der große Raum mit den hölzernen Wänden völlig leer, der Fußboden bestand aus festgestampfter Erde. Auf dieser blanken Erde saßen die Gefangenen in einem kleinen, engen Halbkreis. Alle, mit Ausnahme von McKinnon – Nicolson konnte ihn von der Stelle aus, wo er saß, eben noch sehen: seine Schultern, die regungslos ausgebreiteten Arme und der Hinterkopf mit dem schwarzen, krausen Haar waren hell erleuchtet von dem Lichtschein, der durch den

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