Die Überlebenden der Kerry Dancer
noch ordnen müssen. Es wird nicht lange dauern, und dann können wir aufbrechen.« Auf seinem Gesicht erschien abermals ein Lächeln, während sein Blick langsam die Reihe der Gefangenen entlangging, die vor ihm an der Erde hockten. »Und da wir noch ein wenig warten müssen, so wird es Ihnen allen sicherlich angenehm sein, die Bekanntschaft eines Mannes zu machen, von dem Sie annehmen, daß Sie ihn sehr genau kennen, obwohl Sie keine Ahnung haben, wer er wirklich ist. Es handelt sich um einen Mann, der ein sehr guter Freund unseres glorreichen Kaiserreichs ist, ein Mann, dem unser glorreicher Kaiser, davon bin ich überzeugt, persönlich seinen Dank auszusprechen wünschen wird. Sie dürfen sich jetzt ungescheut zu erkennen geben, mein Herr.«
Durch die Reihe der Gefangenen lief eine plötzliche Bewegung, dann war einer von ihnen aufgestanden und ging auf die Rednertribüne zu; er sprach fließend Japanisch und schüttelte dem sich verbeugenden Hauptmann Yamata die Hand. Nicolson, konsterniert und völlig fassungslos, wollte sich mühsam aufrichten, sank aber wieder zu Boden, als ihn ein Schlag mit dem Gewehrkolben an der Schulter traf. Einen Augenblick lang hatte er das Gefühl, sein Hals und der eine Arm seien heiß wie Feuer, doch er achtete kaum darauf.
»Van Effen! Was zum Teufel soll das denn –«
»Nicht van Effen, mein lieber Mister Nicolson«, sagte van Effen protestierend. »Nicht ›van‹, sondern ›von‹. Ich bin es leid, mich weiterhin für einen Holländer auszugeben.« Er verbeugte sich mit einem kleinen Lächeln. »Gestatten Sie, Mister Nicolson, daß ich mich Ihnen vorstelle: Alexis von Effen, Oberstleutnant der deutschen Abwehr.«
Nicolson starrte ihn an, starrte ihn sprachlos und fassungslos an. Er war nicht der einzige, dem es den Atem und die Stimme verschlug. Alle, die da am Boden hockten, sahen mit aufgerissenen Augen zu van Effen hin, konnten den Blick nicht von ihm wenden, während ihr halbbetäubtes Bewußtsein sich abmühte, Klarheit zu finden, während ihnen einzelne Vorfälle aus den hinter ihnen liegenden zehn Tagen einfielen und die Erinnerung sich langsam verdichtete zum Begreifen, zu einem zögernden Verstehen des Zusammenhangs. Die Sekunden dehnten sich endlos und wurden schließlich zu einer Minute, eine neue Minute begann, und dann war es vorbei mit dem zögernden Begreifen und dem sich allmählich erhärtenden Verdacht. Jetzt gab es nur noch Gewißheit, die harte, kalte Gewißheit, daß Oberstleutnant Alexis von Effen wirklich der war, der zu sein er behauptete. Darüber konnte es keinen Zweifel mehr geben.
Es war van Effen, der das Schweigen schließlich brach. Er wandte den Kopf ein wenig zur Seite und sah durch die Tür nach draußen, dann richtete sich sein Blick wieder auf die, die bis eben noch seine Gefährten im Unglück gewesen waren. Auf seinem Gesicht lag ein Lächeln. Doch es war kein triumphierendes Lächeln, es ließ auch keinerlei Freude erkennen. Soweit dieses Lächeln überhaupt irgend etwas erkennen ließ, war es eher eine düstere Trauer.
»Und jetzt, meine Damen und Herren, kommt die Erklärung für all das Schwere, was wir in den vergangenen Tagen durchgemacht haben, der Grund dafür, daß die Japaner – die Verbündeten meines Landes, was Sie bitte nicht vergessen wollen – uns so hartnäckig verfolgt und uns so pausenlos zugesetzt haben. Viele von Ihnen werden sich verwundert gefragt haben, aus welchem Grunde wir, eine kleine Gruppe Überlebender, für die Japaner von solcher Bedeutung sein sollten. Sie werden jetzt die Antwort auf diese Frage erhalten.«
Einer der japanischen Soldaten ging, vorbei an den Männern und Frauen, die auf der Erde saßen, nach vorn und stellte einen schweren Koffer zwischen van Effen und Yamata auf das Holz der Tribüne. Alle starrten auf den Koffer und dann auf Miss Plenderleith. Es war ihr Koffer, und ihre Lippen waren bleich. Sie hatte die Augen halb geschlossen, wie vor Schmerz. Doch sie saß unbeweglich und sagte keinen Ton.
Auf ein Zeichen von van Effen ergriff der japanische Soldat den einen Griff des Koffers, während van Effen den anderen ergriff. Gemeinsam hoben sie den Koffer zwischen sich bis in Schulterhöhe und drehten ihn dann um. Nichts fiel heraus, nur das Leinenfutter hing nach unten durch, als sei es mit Blei beschwert. Van Effen sah zu dem japanischen Offizier hin. »Darf ich bitten, Hauptmann Yamata?«
»Mit dem größten Vergnügen, Herr Oberstleutnant.« Yamata kam einen Schritt nach
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