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Die Überlebenden der Kerry Dancer

Die Überlebenden der Kerry Dancer

Titel: Die Überlebenden der Kerry Dancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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dachte von neuem an Mister Johnson, und vielleicht, dachte er, würde sich Mister Johnson seiner nicht schämen, wenn er ihn jetzt sehen könnte. Er dachte an seine dunkle, sanfte Anna-May und lächelte dabei, ohne Bitterkeit. Und da war ja auch noch die Torte. So eine wunderschöne Torte, wie nur Anna-May sie machen konnte, und er hatte noch nicht einmal ein Stück davon probiert. Er schüttelte bekümmert den Kopf und schrie einmal kurz auf, als die Agonie durch seinen zertrümmerten Schädel fuhr und die blinden Augen erreichte.
    Einen Augenblick lang, nur für einen kurzen Augenblick, kehrte ihm das Bewußtsein zurück. Seine rechte Hand war von der Taste heruntergerutscht. Er war sich klar darüber, wie ungeheuer wichtig es war, daß er die Hand wieder auf die Taste hob, doch in seinem rechten Arm schien gar keine Kraft mehr zu sein. Er schob die linke Hand hinüber, ergriff das rechte Handgelenk und versuchte, die Hand zu heben, doch sie war viel zu schwer, so unbeweglich, als wäre sie am Tisch angenagelt. Kurz und nebelhaft kam ihm noch einmal der Gedanke an Mister Johnson, und er hoffte, sein Bestes getan zu haben. Dann sank er stumm, ohne einen Seufzer, vornüber auf den Tisch. Der Kopf fiel auf seine verschränkten Hände, sein linker Ellbogen drückte den Rand der Torte platt, daß die Kerze sich neigte, bis sie fast waagerecht stand, das heruntertropfende Wachs bildete auf der Politur der Tischplatte einen kleinen See, der dichte und jetzt sehr schwarze Rauch stieg in trägen Spiralen hoch, drückte sich oben an der Decke flach und verteilte sich quer durch die kleine Kabine. Es war ein dunkler, öliger Rauch, doch er war nicht imstande, die grausame Schärfe des Sonnenlichts zu mildern oder die drei kleinen, sauberen, rotumränderten Löcher hinten im Hemd von Willie Loon zu verbergen, der mit ausgebreiteten Armen über seinem Gerät lag. Nach einer Weile begann die Kerze zu flackern, flammte noch einmal hell auf – und verlosch.
    Francis Findhorn, Kommodore der Britisch-Arabischen Tanker-Reederei und Kapitän des 12.000-Tonnen-Motorschiffs Viroma, klopfte mit dem Fingernagel noch zweimal leicht gegen das Glas des Barometers, sah einen Augenblick lang nach dem Zeiger, ohne eine Miene zu verziehen, und ging dann ohne Hast zurück zu seinem Stuhl in der Backbordecke des Ruderhauses. Automatisch langte er nach oben, um den Luftstrom des Ventilators auf sein Gesicht zu richten, zuckte zusammen, als ihm die heiße, feuchte Luft entgegenschlug, und schob den Ventilator rasch, aber ohne Hast, wieder beiseite. Kapitän Findhorn tat niemals irgend etwas hastig. Auch als er jetzt die weiße Mütze mit der Goldlitze abnahm und sich mit dem Taschentuch über das dunkle, schon gelichtete Haar fuhr, führte er diese simple Handlung mit geruhsamer Eile aus, so ohne jede überflüssige, unzweckmäßige Bewegung, daß man instinktiv begriff: diese ruhige Entschiedenheit, diese selbstverständliche Bewegungsökonomie waren angeboren, gehörten zum Wesen dieses Mannes.
    Hinter sich hörte er das Geräusch leiser Schritte, die über das harte Teakholz des Decks gingen. Kapitän Findhorn setzte die Mütze wieder auf, drehte sich in seinem Stuhl herum und sah zu seinem Ersten Offizier hin, der jetzt dort stand, wo er selbst vor einigen Sekunden gestanden hatte, und mit nachdenklicher Miene auf das Barometer sah. Kapitän Findhorn beobachtete ihn eine Weile schweigend und mußte denken, daß sein Erster Offizier eine geradezu klassische Widerlegung der weit verbreiteten Annahme war, wonach Leute mit hellem Haar und weißer Haut nicht imstande sein sollten, eine ordentliche Sonnenbräune zu entwickeln: das Stück Hals, das zwischen dem weißen Hemd und dem von der Sonne fast zu einem Platinblond gebleichten hellen Flachshaar zu sehen war, hatte die dunkle Farbe alten Eichenholzes. Doch jetzt drehte sich der Erste Offizier herum und sah zu ihm hin, und Findhorn lächelte kurz.
    »Nun, Mister Nicolson, was halten Sie davon?« Der Rudergänger stand keine drei Schritt von ihm entfernt, und wenn irgend jemand von der Crew in Hörweite war, dann war der Kapitän im Umgang mit seinen Offizieren immer die Förmlichkeit in Person.
    Nicolson zuckte die Schultern und ging hinüber an den Windfang. Er hatte eine ganz besonders leise, fast katzenhafte Gangart, so als ginge er über alte, ausgetrocknete Zweige und habe Angst, sie zu zerbrechen. Er sah durch die Scheibe nach draußen auf den Himmel, der aussah wie ein Backofen aus

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