Die Überlebenden der Kerry Dancer
vor zwei Monaten, um sicherzugehen, daß ich sie rechtzeitig habe. Die Torte ist sehr hübsch, nicht wahr?«
»Sie ist wunderschön«, sagte Leutnant Parker behutsam. Er betrachtete das gerahmte Foto an der Wand. »So schön wie das Mädchen, das sie gebacken hat. Sie müssen ein sehr glücklicher Mensch sein.«
»Das bin ich auch.« Auf seinem Gesicht erschien von neuem das strahlende Lächeln. »Ich bin wirklich sehr glücklich, das dürfen Sie mir glauben.«
»Und wann ist Ihr Geburtstag?«
»Heute. Deshalb habe ich die Torte hingestellt. Ich werde heute vierundzwanzig.«
»Heute!« Parker schüttelte den Kopf. »Da haben Sie sich wahrhaftig einen wunderschönen Tag ausgesucht, um Geburtstag zu feiern, allen Anzeichen nach zu urteilen. Aber irgendwann muß man ja schließlich Geburtstag haben. Alles Gute, und möge dieser Tag Sie noch oft glücklich sehen.«
Er wandte sich um, stieg über die Sturmleiste und machte die Tür leise hinter sich zu.
Drittes Kapitel
W illie Loon starb im Alter von vierundzwanzig Jahren. Er starb an seinem vierundzwanzigsten Geburtstag, am hohen Mittag, während das harte Licht der Sonne des Äquators sengend durch das vergitterte Oberlicht über seinem Kopf hereinbrach. Ein weißer Glanz, eine erbarmungslos grelle Helligkeit, die sich lustig machte über die blakende Flamme der einsamen Kerze, die noch immer auf der Geburtstagstorte brannte, ein gelbes Flämmchen, das erstrahlte und verging, erstrahlte und verging, wieder und wieder, in der gleichen Monotonie, wie das Schiff schlingernd verholte und das schwarze Schattenkreuz des Oberlichts hin und her wanderte – über das Flämmchen, über die Kerze, über die Torte und über das Bild von Anna-May, dem scheu lächelnden Mädchen aus Batavia, das sie gebacken hatte.
Doch Willie Loon konnte die Kerze nicht sehen und auch nicht die Torte oder das Bild seiner jungen Frau, denn er war blind. Er begriff nicht, wieso das so sein sollte, denn der letzte dieser Hammerschläge vor knapp zehn Sekunden hatte ihn am Hinterkopf getroffen, nicht an der Stirn. Er konnte das Licht der Sonne nicht sehen. Er konnte auch die Morsetaste seines Gerätes nicht sehen, aber das machte nichts, denn Mister Johnson auf der Funkschule hatte ihnen immer klargemacht, daß man erst dann ein richtiger Funker sei, wenn man in der schwärzesten Finsternis genauso gut funken könne wie am hellen Tage. Und außerdem hatte ihnen Mister Johnson eingeschärft, daß ein Funker bis zuletzt auf seinem Posten zu bleiben, daß er zusammen mit seinem Kapitän von Bord zu gehen habe. Und deshalb ging Willie Loons Hand auf und ab, auf und ab im hämmernden Rhythmus des geübten Funkers, bewegte die Taste, um wieder und wieder den gleichen Funkspruch zu senden: SOS, Feindlicher Luftangriff, 0.45 Nord, 104.24 Ost. Schiff brennt – SOS, Feindlicher Luftangriff, 0.45 Nord, 104.24 Ost, Schiff brennt – SOS …
Sein Rücken tat ihm weh, tat entsetzlich weh. Maschinengewehrkugeln – wußte nicht wieviele. Besser so, dachte er mühsam, als wenn es das Gerät erwischt hätte. Wäre sein Rücken nicht dagewesen, dann wäre das Gerät hin, dann hätte es kein SOS gegeben und keinerlei Hoffnung. Und schön hätte er dagestanden als Funker, mit dem wichtigsten Funkspruch seines Lebens und ohne die Möglichkeit, ihn zu senden …
In seinen Ohren war ein seltsam gedämpftes Dröhnen. Im Hintergrund seines Bewußtseins beschäftigte ihn die Frage, ob es das Geräusch der Flugzeugmotoren war, oder ob die Flammen, die das Vorderdeck einhüllten, über ihm zusammenschlugen, oder ob es einfach nur das Dröhnen des Blutes in seinem Kopf war. Höchstwahrscheinlich war es sein eigenes Blut, denn die Bomber waren, nach getaner Arbeit, inzwischen sicher längst wieder fort, und es war auch kein Wind, der die Flammen hätte anfachen können. Es war auch gar nicht wichtig. Wirklich wichtig war einzig und allein, daß seine Hand weiter die Taste bewegte, um wieder und wieder den Funkspruch hinausgehen zu lassen. Und der Spruch ging hinaus, wieder und wieder, wenn er jetzt auch nur noch ein verschwommenes, sinnloses Gewirr aus Punkten und Strichen war.
Doch das wußte Willie Loon nicht. Ihm war nichts mehr sonderlich klar. Alles war dunkel und verwirrt, er hatte das Gefühl zu fallen. Gleichzeitig spürte er aber in den Kniekehlen die Kante seines Stuhls, und so wußte er, daß er noch da war, noch immer an seinem Gerät saß, und er mußte lächeln über seine dummen Einbildungen. Er
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