Die Überlebenden der Kerry Dancer
Horizonts versank, und drehte sich dann wieder um. Vannier und der Rudergänger beobachteten ihn schweigend, aus müden Augen mit dem Ausdruck müden Fragens.
Von oben, über ihren Köpfen, kam gelegentliches Gemurmel oder das schurrende Geräusch ziellos wandernder Füße. Da oben waren die Kanoniere der beiden Flakkanonen, die auf dem Dach des Ruderhauses aufgebaut waren, rechts und links vom Kompaßhäuschen. Es waren alte Geschütze, sehr alt und von sehr geringer Leistung, eigentlich nur geeignet zur Stärkung der Moral von Männern, die noch nie gezwungen gewesen waren, damit auf einen Feind zu schießen. Die Selbstmördersitze, so hießen diese beiden Flakstände; denn das exponierte Dach des Ruderhauses, der höchste Punkt der Brückenaufbauten, war das bevorzugte Ziel eines jeden Luftangriffs. Die Kanoniere waren sich darüber klar, und sie waren auch nur Menschen; tagelang war ihnen jetzt schon nicht wohl in ihrer Haut gewesen, und ihre Unruhe wuchs.
Doch die unbehagliche Unruhe der Kanoniere, die Hände des Rudergängers, die sich sacht auf den Speichen des Rades bewegten – das waren nur kleine, unbedeutende Geräusche in der seltsamen Stille, die über der Viroma lag, eine dichte, fast greifbare Lautlosigkeit, die alles umgab und einhüllte wie ein Kokon. Die leisen Geräusche kamen und gingen, und hinterher war weder die Stille da, noch tiefer und bedrohlicher als zuvor.
Es war eine Stille, wie sie entsteht, bei großer Hitze und der steigenden Feuchtigkeit der Luft, die jeden Schluck, den man trinkt, als Schweiß am Körper herunterrinnen läßt. Es war die tote, matte Stille, die über dem Chinesischen Meer liegt, während der aufziehende Sturm hinter dem Horizont auf der Lauer liegt. Es war die Stille, die bei Männern entsteht, wenn sie lange, lange nicht geschlafen haben und sehr müde sind. Vor allem aber war es die Stille, die beim Warten entsteht. Bei jeder Art des Wartens, das die Nerven auf eine Folter spannt, und jede weitere Stunde des Wartens verstärkt die Spannung noch ein wenig, und wenn das Warten nicht bald zu Ende ist, dann wird die Spannung zu heftig und die Nerven zerreißen. Wenn aber das Warten ein Ende hat, dann ist das noch schlimmer, denn dann wird nicht nur das Warten enden, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach alles zu Ende sein.
Die Männer an Bord der Viroma hatten schon sehr lange gewartet. Es war eine Woche her, seit die Viroma – mit einem falschen Schornstein und mit Windhutzen aus Pappe, am Bug den frisch aufgemalten Namen Resistencia und am Heck die Flagge der Argentinischen Republik – um die nördliche Spitze von Sumatra herumgefahren und am hellen Tage in die Straße von Malakka hineingedampft war. Eine Woche hat sieben Tage, jeder Tag vierundzwanzig Stunden und jede Stunde sechzig Minuten. Und eine Minute kann eine lange Zeit sein, wenn man auf etwas wartet, das unwiderruflich kommen muß, wenn man weiß, daß man die Gesetze der Wahrscheinlichkeit immer unerbittlicher gegen sich hat und das Ende nicht mehr sehr viel länger hinausgezögert werden kann. Eine Minute kann eine lange, lange Zeit sein, wenn die erste Bombe oder der erste Torpedo vielleicht nur noch Sekunden auf sich warten läßt, und wenn man zehntausendundvierhundert Tonnen Dieselöl und hochexplosives Flugzeugbenzin unter den Füßen hat …
Das Telefon über dem Flaggenkasten läutete schrill, mit unangenehmer Zudringlichkeit, wie ein Messer durchschnitt es die bleierne Stille auf der Brücke. Vannier, schlank, braunhaarig, erst seit zehn Wochen Offizier, stand ganz in der Nähe. Er fuhr hastig herum, stieß das Fernglas um, das auf dem Deckel des Flaggenkastens stand, und nahm mit nervöser Hast den Hörer vom Haken. Selbst unter der Sonnenbräune war zu sehen, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg.
»Hier Brücke. Was gibt's?« Die Stimme sollte betont forsch klingen. Es gelang nicht so recht. Er hörte eine Weile zu, sagte danke, hing auf, drehte sich herum und sah Nicolson, der neben ihm stand.
»Wieder ein SOS«, sagte er rasch. Nicolsons kalte, blaue Augen verursachten ihm immer ein Gefühl unbehaglicher Verlegenheit. »Irgendwo nördlich von uns.«
»Irgendwo nördlich von uns.« Nicolson wiederholte die Worte fast beiläufig, doch in seiner Stimme war ein Unterton, der Vannier unsicher und nervös werden ließ. »Welche Position? Was für ein Schiff?« Nicolson sprach jetzt mit hörbarer Schärfe.
»Ich – ich weiß nicht. Ich habe nicht danach gefragt.«
Nicolson sah ihn
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