Die Überlebenden der Kerry Dancer
diese Narbe da auf ihrer Backe sah, da hat es ihm einen Ruck gegeben – und seitdem schämt er sich, da er sich das hat anmerken lassen. Er ist eben noch sehr jung, weiter nichts. Und der Kapitän, der findet Sie einfach hinreißend. Wissen Sie, was er von Ihrem Teint gesagt hat? ›Durchscheinender Bernstein‹. Na ja, er ist halt ein alter Feinschmecker.«
»Das ist er nicht. Er ist nur sehr, sehr nett, und ich mag ihn sehr gern.« Mit einem scheinbaren Sprung fuhr sie fort: »Und wenn er sich alt fühlt, dann sind Sie daran schuld.«
»Blödsinn!« sagte Nicolson. »Mit einem Steckschuß in der Lunge fühlt sich jeder alt.« Dann schüttelte er bekümmert den Kopf. »Ach du lieber Gott, jetzt habe ich mich schon wieder vorbeibenommen. Seien Sie mir bitte nicht böse, ich wollte Sie nicht beißen. Wie ist es, Miss Drachmann, wollen wir das Kriegsbeil begraben?«
»Ich heiße Gudrun.« Das war sowohl die Antwort auf seine Frage als auch eine Bitte, und sie sagte es ohne eine Spur von Koketterie.
»Gudrun? Ein hübscher Name, und er paßt zu Ihnen.«
»Aber Sie haben nicht die Absicht – Gleiches mit Gleichem zu vergelten?« Im Ton ihrer leisen Stimme war ein gewisses Mißtrauen. »Ich habe gehört, daß der Kapitän Sie Jonny nennt. Klingt eigentlich sehr nett. In Dänemark würde man so zu einem noch sehr kleinen Jungen sagen. Doch ich denke, ich würde es fertigbringen, mich an diesen Namen zu gewöhnen.«
»Ich zweifle nicht daran«, sagte Nicolson unbehaglich. »Nur sehen Sie –«
»Aber natürlich!« Sie machte sich über ihn lustig, das spürte er, und er fühlte sich noch unbehaglicher. »Stellen Sie sich vor, ich würde Jonny zu Ihnen sagen, und das vor den Ohren Ihrer Leute – völlig unmöglich! Doch in solchen Fällen würde ich Sie natürlich Mister Nicolson nennen«, sagte sie mit gespieltem Ernst. »Aber vielleicht meinen Sie, es wäre besser, wenn ich Sie mit ›Sir‹ anrede?«
»Herrgott noch mal –!« setzte Nicolson an, brach dann aber plötzlich ab und stimmte in das kaum hörbare Lachen des Mädchens ein. »Nennen Sie mich, wie und was Sie wollen. Ich habe es vermutlich verdient.«
Er stand auf, ging quer durch die Senke, dorthin, wo der mohammedanische Priester Wache hielt, sprach kurz mit ihm und ging dann den Hügel hinunter zu van Effen, der das einzige noch brauchbare Rettungsboot bewachte. Er blieb ein paar Minuten bei ihm sitzen, fragte sich, was für einen Sinn es eigentlich noch haben könnte, das Boot zu bewachen, und machte sich dann wieder auf den Weg zurück zu der Senke. Gudrun Drachmann war noch immer wach und saß dicht neben dem Kleinen. Er setzte sich neben sie auf die Erde.
»Nicht nötig, daß Sie die ganze Nacht aufbleiben«, sagte er mit freundlicher Stimme. »Peter braucht Sie jetzt nicht. Warum wollen Sie sich nicht schlafen legen?«
»Bitte, antworten Sie mir ehrlich.« Ihre Stimme war sehr leise. »Wieviel Hoffnung ist noch für uns?«
»Keine.«
»Sehr kurz und sehr ehrlich«, meinte sie. »Und wieviel Zeit haben wir noch?«
»Bis morgen mittag – und das ist schon reichlich geschätzt. Es ist so gut wie sicher, daß das U-Boot zunächst einmal versuchen wird, einen Trupp an Land zu schicken. Und dann werden sie Verstärkung herbeirufen – doch wahrscheinlich werden die Flugzeuge ohnehin hier sein, sobald es hell wird.«
»Vielleicht wird die Besatzung des U-Boots ausreichen. Vielleicht werden sie es gar nicht nötig haben, Verstärkung herbeizurufen. Wie viele –«
»Aus denen machen wir Kleinholz«, sagte Nicolson im Ton einer sachlichen Feststellung. »Doch sie werden Verstärkung brauchen. Sie werden sie bekommen. Und dann werden sie uns fertigmachen. Falls sie uns nicht allesamt durch Bomben und Granaten töten, werden sie vielleicht Sie und Lena und Miss Plenderleith gefangennehmen. Ich hoffe allerdings, daß es nicht so kommt.«
»Ich habe die Japaner bei Kotabaru erlebt.« Es schauderte sie bei der Erinnerung. »Ich hoffe gleichfalls, daß es nicht so kommt. Und der kleine Peter?«
»Ja – Peter. Das ist eben auch einer von diesen Fällen«, sagte Nicolson mit bitterer Stimme. »Wer macht sich schon Gedanken um das Schicksal eines Zweijährigen?« Ihm war das Schicksal dieses Zweijährigen nicht gleichgültig, das wußte er; er hatte zu dem Jungen eine größere Zuneigung gefaßt, als er irgend jemandem gegenüber zugegeben haben würde, und wenn Karoline noch am Leben gewesen wäre –
»Ist wirklich gar nichts mehr zu
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