Die Ueberlebenden von Mogadischu
bleich und übernächtigt aus. Aber nicht schlimmer als wir alle.« Dann schildert sie die Umstände seiner Ermordung und versichert, Jürgen Schumann sei sofort tot gewesen. »Ich habe meinen Mann anschließend gesehen«, wird Monika Schumann später zitiert, »und den Obduktionsbericht gelesen. Nichts war zertrümmert. An der Nase war ein kleines Einschussloch. Wenn man nicht genau hinsah, erkannte man nur einen blauen Fleck. Es war ein Genickschuss von vorn.« Die Hörzu nimmt mit einer früheren Geisel Kontakt auf, die angeblich als Einzige die letzten Worte von Jürgen Schumann verstanden hat. Sie sollen »Man hat mich draußen gefangen genommen« gelautet haben.
259 Mit diesem Satz macht die Hörzu das Rätsel um Jürgen Schumann noch rätselhafter.
Die intensiven Recherchen können selbstverständlich auch über die Trauer um den verlorenen Partner nicht hinweghelfen. Monika Schumann empfindet sich nach dem Tod ihres Mannes, wie sie einmal in einer 1996 im Fernsehbeitrag von Chris Jeans zitierten BBC -Dokumentation sagt, »wie in einer Gummizelle ohne Türen. Du willst heraus, aber es geht nicht. Du prallst immer ab. Es gibt keinen Ausgang. Du findest keinen.«
Der Kapitän kam im Sarg aus Mogadischu zurück. Der Kollege von Jürgen Schumann, Kopilot Jürgen Vietor, hat überlebt, doch der Tod des Kollegen wird ihn für sein weiteres Leben beschäftigen, bis heute. Er nimmt aus dem Drama zwei Loyalitätskonflikte mit, die ihn umtreiben, die er aber gleichwohl nicht lösen kann.
Der eine Konflikt betrifft seine Loyalität zu Jürgen Schumann. Unabhängig von seiner dienstlichen Pflicht, einem Kapitän gegenüber loyal zu sein, findet er nur würdigende Worte für die fliegerischen Entscheidungen, die Jürgen Schumann seit Beginn der Entführung getroffen hat. »Kapitän Schumann hat in Rom vorgeschlagen, dass ich das manuelle Fliegen übernehme, während er die Koordination und die Verhandlungen mit Mahmud übernimmt«, schreibt Jürgen Vietor in einer persönlichen Notiz, in der er seine Gedanken zum Thema ordnet und sich auf seine Zeugenaussage im Andrawes-Prozess vorbereitet.
Diese Entscheidung entspricht dem Lufthansa-Prozedere für ungewöhnliche Situationen und ist auch nach der persönlichen Einschätzung von Jürgen Vietor »sinnvoll und gut«.
In Dubai, in einem Moment, als keiner der Entführer im Cockpit ist, spricht Jürgen Schumann mit Jürgen Vietor über die Frage, ob Nachrichten aus dem Flugzeug herausgegeben werden sollen. »Ich erinnere mich genau an meine damaligen Worte«, so Jürgen Vietor in seinem persönlichen Bericht: »Jürgen, ich würde es nicht tun«, sagt er. Es ist keine Warnung, aber doch ein klarer Hinweis auf eine abweichende Meinung. »Wir sind hier in einem uns un 262 bekannten Land, wir wissen, dass die PLO [Palästinensische Befreiungsorganisation; Anm. d. Verf.] überall ihre Vertrauensleute hat, vermutlich auch hier.« Damit sei das Thema beendet gewesen.
Später gibt ihm Jürgen Schumann in Abstimmung mit Mahmud die Anweisung, er möge vier englische und arabische Zeitungen bestellen. »Mit der besonderen Betonung der Zahl vier. Da wusste ich, was gemeint war, und habe mehrfach vier Zeitungen bestellt.«
Jürgen Vietor folgt ohne innere Überzeugung den Anweisungen seines Chefs. »So wertvoll natürlich die Herausgabe von Informationen über die Lage an Bord ist, so verhängnisvoll kann dies für den Betreffenden sein, wie es sich ja hier leider gezeigt hat.«
Das Schmuggeln von Informationen war für die Entscheidungen des Krisenstabes von nicht zu überschätzender Bedeutung, worauf auch Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski in der Pressekonferenz am 19. Oktober 1977 hinwies. Zugleich hat Jürgen Schumann damit gegen die Regeln der eigenen Airline verstoßen. In dem Lufthansa-Lehrfilm Verhalten bei Entführungen , den sowohl Jürgen Schumann als auch Jürgen Vietor kannten, heißt es, eine Herausgabe von Informationen sei »äußerst riskant« und nur denkbar, »wenn absolut sichergestellt ist, dass diese Tatsache nicht wieder ins Flugzeug zurückgelangt«. Der Lehrfilm war 1975 unter Anleitung des Psychologen Wolfgang Salewski von der Deutschen Lufthansa produziert worden und gehörte seither zum Bestandteil der Ausbildung des fliegenden Personals.
Jürgen Schumann nimmt auf Mahmuds Vorhalt die Verantwortung für den Schmuggel auf sich. Später setzt er sich in zwei Situationen, als Jürgen Vietor den Zorn von Mahmud auf sich zieht, 263 für das
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