Die Ueberlebenden von Mogadischu
die Abmachung, dass die Deutschen den ersten Teil der »Operation Feuerzauber« übernehmen und die Somalis den zweiten. Das Problem ist nur: Einen zweiten gibt es nicht. Entweder merkt der Präsident von Somalia, Siad Barre, erst in der Nacht, dass er geleimt worden ist, oder er hat es schon den Tag über gewusst und damit gerechnet. Er wird sein Unbehagen hinterher formulieren und das schlechte Gewissen der Deutschen umso mehr aktivieren.
Alle Deutschen – die befreiten Geiseln, die Männer der Grenzschutzgruppe 9 und das Team von Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski – müssen noch vor Sonnenaufgang das Land verlassen. Siad Barre hat ein kurzes Verweilen, aber keinen Aufenthalt im Land erlaubt. »The sun shall not see the bloodshed«, war als Devise ausgegeben worden.
Mit dem Abflug der Deutschen geht die »Landshut« vorläufig 144 in die Obhut der somalischen Polizei über. Somalis nehmen die Maschine offensichtlich genau unter die Lupe. Als die Deutsche Lufthansa später die Koffer der Passagiere an sich nimmt, fehlen Wertgegenstände und Schmuck im Wert von über 100 000 Mark.
Über derlei Verluste müssen Bundesregierung und Lufthansa großzügig hinwegsehen. Die eigentliche Rechnung kommt erst später.
Politik und Lufthansa beginnen diplomatische Aktivitäten. Gerhard Höper, Honorarkonsul von Somalia, knüpft im Frühjahr 1978 eine Städtepartnerschaft zwischen Landshut und Mogadischu. Zwischen dem Ort in Niederbayern und der Stadt am Horn von Afrika liegen 6000 Kilometer. »Es wird ein symbolisches Bekenntnis zueinander sein mit der ehrlichen Bereitschaft, sich über Kontinente hinweg verbunden zu fühlen«, wird der Landshuter Oberbürgermeister Josef Deimer in der Zeit zitiert. Zur Stiftungsfeier mit 600 geladenen Gästen im Prunksaal des Landshuter Rathauses kommt das Nationalballett des afrikanischen Landes. Im Juni 1978 richtet die Deutsche Lufthansa eine Direktverbindung zwischen Frankfurt und Mogadischu ein. An Bord der ersten Maschine befinden sich niederbayerische Schuhplattler, die in der neuen Partnerstadt Auftritte absolvieren. Später reisen auch Laienspieler aus Landshut nach Mogadischu, um die mittelalterliche »Landshuter Fürstenhochzeit« aufzuführen.
Hans-Jürgen Wischnewski betont in seinen Memoiren, dass es bei seinen Gesprächen am 17. Oktober 1977 in Mogadischu nicht um Geld gegangen sei. Auch Helmut Schmidt sprach Siad Barre gegenüber allenfalls von einer Dankesschuld, die Deutschland im Fall einer Mithilfe empfände.
Im Oktober 1977 fordert der CSU -Abgeordnete im Deutschen Bundestag, Franz Josef Strauß, die Bundesregierung zu Waffenlieferungen an Somalia auf. Die Regierung von Helmut Schmidt selbst setzt die Mär in Umlauf, sie habe Somalia technische Hilfe in Form von 100 Lastwagen gewährt. Sie will den Eindruck vermeiden, dass Bargeld nach Mogadischu fließt, mit dem Präsident 145 Siad Barre Waffen kaufen könnte. Hans-Jürgen Wischnewski versichert in seinen Lebenserinnerungen, die Bundesregierung habe keine Waffen an Somalia geliefert, »aber wir haben uns bemüht, Somalia bei seiner Entwicklung über das normale Maß hinaus zu helfen«.
Was heißt das genau? Seit die Akten zur »Landshut«-Entführung im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes zugänglich sind, ist eine Antwort möglich. Der Historiker Tim Geiger hat 2009 einen Aufsatz über die »Entwicklungshilfe« der Bundesrepublik Deutschland für Somalia in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte publiziert. Darin berichtet er, dass die Bundesrepublik dem Land seit 1962 Ausrüstungshilfe für die Polizei gewährt hat. Für 1977 sind darüber hinaus acht Millionen Mark Kapitalhilfe und fünf Millionen technische Hilfe vorgesehen gewesen. Ende März 1977 deutet Entwicklungshilfeministerin Marie Schlei dem Bundeskanzler an, verstärkte Entwicklungshilfe in Somalia könne wegen einer sich anbahnenden Umorientierung des Landes – weg vom Osten, hin zum Westen – sinnvoll sein.
Somalia befindet sich zu der Zeit im Krieg mit dem Nachbarn Äthiopien. Es geht um eine Region, auf die beide Länder Besitzansprüche erheben. Bis jetzt beziehen beide Staaten ihre Waffen für diesen Krieg aus der Sowjetunion, doch die Sowjetunion scheint Äthiopien zu bevorzugen. Dies ist der wichtigste Grund für den somalischen Präsidenten Siad Barre, politisch zu neuen Ufern aufzubrechen. Die USA , Großbritannien, Frankreich und die Bundesrepublik bilden eine gemeinsame »Horn-von-Afrika-Kontaktgruppe«,
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