Die Übermacht - 9
ganzes Weltbild zertrümmert, in dem du ihnen die Wahrheit über Langhorne und Bédard erzählt hast. Wurde doch wirklich Zeit, dass endlich mal jemand zurückschlägt!
Er schloss die Augen, und sein zuverlässiges PICA-Gedächtnis wiederholte Wort für Wort das Gespräch, das in Maikel Staynairs Arbeitszimmer stattgefunden hatte.
»Was meinen Sie damit? Was ist denn nicht über die Erzengel und Mutter Kirche in der Heiligen Schrift oder den Offenbarungen dargelegt, mein Sohn?«, fragte Staynair und kniff besorgt die Augen zusammen. Ihm war Paityr Wylsynns Tonfall, als er diese Worte sprach, nicht entgangen.
»Nun, es gibt mehr als einen Grund, warum meine Familie schon immer so tief in alle Belange von Mutter Kirche involviert war, Eure Eminenz.«
Wylsynns Miene wirkte sehr angespannt. Seine Stimme war überschattet von Bitterkeit, Zorn und nachhallendem Entsetzen über das, was man ihm gerade erklärt hatte. Nun blickte er der Reihe nach allen Anwesenden in die Augen und holte dann tief Luft.
»In meiner Familie erzählt man sich schon von alters her, dass wir direkt vom Erzengel Schueler abstammen«, sagte er mit rauer Stimme. »Diese Geschichte ist Teil der Familientradition. Mein ganzes Leben lang war dieses Wissen für mich ein Quell großer Freude. Es hat mich stolz gemacht, und immer musste ich gegen diesen Stolz ankämpfen. Denn er geziemt sich nicht für einen Sohn von Mutter Kirche. Natürlich war diese Abstammung etwas, das Mutter Kirche und die Inquisition rundweg als unmöglich abgestritten hätten. Das ist einer der Gründe, warum meine Familie dieses Wissen stets für sich behalten hat. Aber zugleich wurde uns ausdrücklich aufgetragen, es in der Familie weiterzutragen – auch das gehörte zur Tradition –, da uns ein besonderes Wissen überantwortet wurde.«
Merlins MolyCirc-Nerven zuckten voller Ahnungen. Doch er behielt seine ausdruckslose Miene bei und neigte nur den Kopf ein wenig zur Seite.
»Darf ich davon ausgehen, dass zu dieser Tradition und diesem Wissen gehört, dass Sie den Stein von Schueler besitzt, Pater?«
»Ja, das dürfen Sie.« Zu der Bitterkeit in Wylsynns Tonfall gesellte sich Zorn. »Mein ganzes Leben lang habe ich geglaubt, das hier«, er griff nach dem Szepter, das er an einer Kette um den Hals trug, jene getarnte Reliquie, die seine Familie so lange Zeit über gehütet hatte, »sei uns als Zeichen dafür hinterlassen worden, dass Gott unsere Treue gutheißt.« Er stieß ein raues Schnauben aus. »Nur dass es natürlich nichts dergleichen ist!«
»Ich kenne den Grund nicht, Pater«, erwiderte Merlin sanft, »warum Ihre Vorfahren ausgewählt wurden – vielleicht sogar von Schueler persönlich. Es zeugt nicht sonderlich von Gottvertrauen, nein. Aber nach allem, was ich bereits über Ihre Familie erfahren habe, scheint das niemanden davon abgehalten zu haben, an Gott zu glauben. Was nun die wahre Natur des Steins von Schueler betrifft: Der Stein ist ein Gerät, das auf Terra Verifikator genannt wurde. Vor langer, langer Zeit hätte man vielleicht auch von einem Lügendetektor gesprochen. Wie auch immer dieses Gerät nun in Ihren Besitz gelangt ist, Pater, es bewirkt wirklich genau das, was man Ihren Vorfahren darüber erzählt hat. Mit Hilfe dieses Gerätes kann man in Erfahrung bringen, ob jemand die Wahrheit sagt oder nicht. Es ist sogar«, ein schiefes Grinsen, »ein Breitband-Verifikator. Das heißt, man kann damit sogar herausfinden, ob ein PICA die Wahrheit sagt. Es war für mich also eine gewisse ... Vorsicht geboten, als ich die Fragen beantworten musste, die Sie mir in König Haarahlds Thronsaal gestellt haben.«
»Angesichts dessen, was Ihr mir hier gerade über die wahre Geschichte von Safehold berichtet habt, halte ich das für eine Untertreibung«, erwiderte Wylsynn. Zum ersten Mal seit einer oder zwei Stunden huschte ein Lächeln über sein Gesicht.
»Oh ja, durchaus!« Merlin nickte. »Aber trotzdem war das, was ich Ihnen damals gesagt habe, wirklich die Wahrheit – und genau das hat der Stein von Schueler ja auch bestätigt.«
»Das glaube ich wohl«, gab Wylsynn leise zurück. »Ich mühe mich gerade mit der Frage ab, ob ich sonst noch irgendetwas von dem glauben darf, was ich einst für wahr gehalten habe.«
Kurz senkte sich Schweigen über das Arbeitszimmer des Erzbischofs. Dann schüttelte der junge Mann in der Soutane Schuelers den Kopf.
»Damit muss ich irgendwie zurechtkommen. Das weiß ich. Aber ich weiß ja nun, warum Ihr schon bald
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