Die Übermacht - 9
Schaden. Und diese kleine Kugel, die Sie da gerade beschrieben haben, würde ausreichen, um sämtliche Bibliotheken des gesamten Kaiserreichs Charis aufzunehmen, und es wäre trotzdem noch reichlich Speicherplatz übrig. Das Problem ist, die darin gespeicherten Informationen wieder herauszuholen – und dafür benötigt man eine Energiequelle. Deswegen bin ich mir recht sicher, dass immer dann, wenn Sie den Stein wieder vom Szepter lösen, der Teil, der sich mit dem Schlüssel ›verbindet‹, nicht in der Art und Weise leuchtet, wie der restliche Schaft des Szepters, richtig?«
»Richtig.« Wylsynn nickte.
»Natürlich nicht.« Merlin schüttelte den Kopf. »Das ist der Adapter, Pater. Er nimmt die Energie auf, die Sie im Stein gespeichert haben, und überträgt sie auf das Speichermodul. Und wenn Sie das tun, dann projiziert das Modul Bilder, richtig?«
»Ganz genau das tut es«, bestätigte Wylsynn grimmig. »Und wenn Ihr mir nicht Euer Com gezeigt hättet und wie es Hologramme erzeugt, dann hätte ich kein Wort von dem geglaubt, was Ihr mir erzählt habt. Wisst Ihr, ich habe die Bilder des ›Heiligen‹ Schueler mit eigenen Augen gesehen. Ich habe seine Stimme gehört. Bis zu diesem Tag habe ich geglaubt – wirklich und wahrhaftig und aus tiefstem Herzen geglaubt! –, meine Familie und ich seien von Gottes Finger berührt. Und ich würde es immer noch glauben ... wenn Ihr mir nicht genau die Art von Visionen gezeigt hättet, die meine Familie seit neun Jahrhunderten angelogen haben.«
Lange saß Merlin nur schweigend da. Er war nie auf die Idee gekommen, jemand, der in irgendeiner Weise mit dem Tempel zu tun hatte, könne ein solches Artefakt besitzen. Doch nun, da er es wusste, wurde ihm auch bewusst, dass der schwere Schlag, den Paityr Wylsynn hier hatte einstecken müssen, für ihn noch ungleich schlimmer war als für jeden anderen. Dieser junge Schuelerit war sich in seinem Glauben so sicher gewesen, er hatte so ganz und gar geglaubt, weil er gewusst hatte, die Berührung Gottes gespürt zu haben ... oder zumindest die Berührung von einem von Gottes Erzengeln. Jetzt wusste der Pater, wie bitter man ihn und seine ganze Familie belogen hatte – jetzt wusste er, dass sein Vater und sein Onkel in den Tod gegangen waren, nachdem eben diese Visionen sie verführt und belogen hatten, von denen auch er selbst sich hatte täuschen lassen.
In diesem Augenblick schrie es gequält in Merlins Seele. Oh, was er Paityr Wylsynn angetan hatte – ja, er, er selbst! Wie sollte ein einfacher Mensch – ein Sterblicher – denn mit so etwas umgehen? Wie konnte ein Glaube, ein Gottvertrauen, jetzt im Begreifen, so vollständig betrogen worden zu sein, nicht in Verbitterung, in Kälte und in Hass umschlagen?
»Mein Sohn«, brach Maikel Staynair leise und mit traurigem Gesicht die Stille, »ich verstehe Ihren Schmerz sehr wohl. Ich bezweifle, dass ich mir das Ausmaß, die Tiefe dieses Schmerzes auch nur vorstellen kann. Aber ich verstehe, woher der Schmerz stammt. Und ich glaube, ich kann mir zumindest vorstellen, in welchem Ausmaß Sie nun alles in Frage stellen müssen, was Sie jemals gewusst oder jemals geglaubt haben – nicht nur, was die Kirche oder die ›Erzengel‹ betrifft, sondern wirklich alles. Was Sie selbst betrifft, was Gott betrifft, wie viel der Berufung, die Sie verspürt haben, nur eine Folge dieser Täuschung war. Wie Sie so töricht sein konnten, sich in dieser Weise täuschen zu lassen, und wie viele Generationen Ihrer Familie sich dem gewidmet – und sogar dafür geopfert! – haben, was Sie jetzt als Lüge erkannt haben. Anders könnte es auch gar nicht sein.«
Wylsynn blickte ihn an, und der Erzbischof schüttelte sanft den Kopf.
»Mein Sohn – Paityr –, ich könnte und würde es Ihnen niemals vorwerfen, wenn Sie zu dem Schluss kommen, das alles sei eine einzige Lüge gewesen: dass es Gott nicht gibt und auch nie gegeben hat. Bei einer Täuschung derartigen Ausmaßes würde es eines Erzengels bedürfen, um nicht in all der Bitterkeit und all dem Zorn um sich zu schlagen, die gerade in Ihrem tiefsten Herzen geweckt wurden. Wenn das geschieht, dürfen Sie sich dafür nicht selbst verurteilen! Wenn Sie zu dem Schluss kommen – das heißt, falls Sie zu dem Schluss kommen –, es gebe Gott nicht, dann dürfen Sie sich nicht insgeheim dafür strafen, dass Sie sich von allem abgewandt haben, das man Sie zu glauben und zu verehren gelehrt hat. Ich hoffe darauf, und ich bete darum, dass das nicht
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