Die Übermacht - 9
wünsche jedem alles erdenklich Gute, der Clyntahn das Leben vermiest. Aber wir gehen auch so schon viel zu viele Risiken ein. Wenn es eine Möglichkeit gibt, sie anonym zu warnen, dann vielleicht. Wenn nicht, wird sie wohl allein zurechtkommen müssen.«
.V.
King’s Harbour,
Helen Island, Altes Königreich Charis
Möwen kreischten und Wyvern pfiffen schrill. Wieder und wieder stürzten sie sich in die Wellen von King’s Harbour. Die geflügelten Bewohner von Helen Island konnten die Großzügigkeit kaum fassen, die die Natur ihnen hier angedeihen ließ. Bei so vielen Schiffen überstieg die Menge an Treibgut und umhertreibendem Unrat ihre kühnsten Erwartungen. Emsig nahmen sie das Angebot wahr.
Über sich Schwärme von Flugtieren bahnten sich Ruderkähne, Leichter, Frachter und ein Dutzend anderer Lastschiffe ihren Weg zwischen den zahllosen Kriegsschiffen hindurch, die in der Bucht vor Anker lagen. Neu angeheuerte Matrosen – bei manchen Schiffen noch nicht in der gewünschten Mannschaftsstärke – traten an Deck an, krabbelten die Wanten hinauf und hinunter, keuchten angesichts der gnadenlosen Befehle ihrer Offiziere und verwünschten die tyrannischen, herumbrüllenden Petty Officers mit dem traditionellen Feuereifer, den überall im Universum neue Rekruten schon immer aufbringen. Doch das war nur ein verschwindend geringer Teil all der Geschäftigkeit überall im großen Hafenbecken. Schiffszimmermänner und Schiffsmechaniker befassten sich mit bislang unreparierten Gefechtsschäden. Lautstark stritten sich Dockaufseher mit den Aufsehern der Arbeitergruppen. Zahlmeister und Buchhalter zählten Tonnen und Fässer, Kisten und Säcke mit Versorgungsgütern und fluchten erschöpft und dennoch einfallsreich, wann immer die Zahlen nicht stimmten und sie von vorn anfangen mussten. Segelmacher und Krämer, Kanoniere und Quartiermeister, Kapitäne und Midshipmen, Kapläne und Schreiber, Flaggleutnants und Kuriere waren überall, ein jeder von ihnen ganz auf seine jeweilige Aufgabe bedacht. Keiner von ihnen bemerkte den Lärm und die Hektik rings um sich herum. Das Ausmaß an Aktivität in diesem Hafen war schwindelerregend, selbst für die Imperial Charisian Navy. Das Quietschen von Flaschenzügen unter schweren Lasten, die gebellten Befehle, das Klirren von Hämmern und das Scheppern von Metall hallten über das Wasser wider. Man hätte Verständnis dafür gehabt, wenn ein beiläufiger Beobachter die Szenerie für pures Chaos und völlige Verwirrung gehalten hätte – und doch hätte besagter Beobachter sich getäuscht.
Inmitten dieser ganzen Hektik fällt die Barkasse eines weiteren Admirals gar nicht auf , dachte Domynyk Staynair und entlastete das Holzbein, das an die Stelle seines Unterschenkels getreten war. Man hatte es ihm sorgfältig angepasst. Doch hin und wieder bereitete ihm der Beinstumpf Probleme, vor allem, wenn er deutlich länger auf den Beinen – nun, auf dem Bein und dem Holzbein! – gewesen war, als er eigentlich sollte. Und ›länger als er eigentlich sollte‹ war eine recht treffende Beschreibung fast jedes einzelnen Arbeitstags, seit er in Bryahn Lock Islands Fußstapfen getreten war.
Dabei benutze ich bei seinen Fußstapfen doch nur jede zweite , sinnierte er sarkastisch und griff damit seinen vorherigen Gedanken wieder auf. Er hob den Kopf, als die Barkasse unter der Heckgalerie einer der ankernden Galeonen entlangfuhr. Auf dem Heckspiegel stand noch der ursprüngliche Name des Schiffes zu lesen – Schwert Gottes . Doch es war bereits entschieden, die Galeone umzutaufen, sobald sie offiziell in charisianische Dienste gestellt würde. Wie sie allerdings dann heißen sollte, war schon wieder eine dieser zahllosen Kleinigkeiten, mit denen Rock Point sich noch nicht befasst hatte.
»Ruder einholen!«, rief sein Bootsführer. In einer perfekt choreographierten Bewegung zogen die Ruderer die langen Riemen an Bord, während der Bootsführer die Pinne herumlegte. In einer anmutig geschwungenen Kurve glitt die Barkasse in den dunklen Schatten der Schwert Gottes und ging dann längsseits.
»Kette!«, brüllte der Bootsführer. Der Matrose, der am Bug kauerte, hob seinen langen Bootshaken und ergriff mit unzweifelhaft der Übung geschuldetem Geschick die Rüste des größeren Schiffes.
»Gut gemacht, Byrt!«, lobte der Admiral.
»Ich dank auch schön, Mylord«, erwiderte Byrtrym Veldamahn erfreut. Rock Point war nicht dafür bekannt, viel zu loben. Doch man konnte sich darauf verlassen,
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