Die Übermacht - 9
Krone verfügt, dass Sie aus diesem Thronsaal zum Richtplatz geführt, dort enthauptet und anschließend in ungeweihtem Bodem begraben werden, wie es Hochverrätern vorbehalten ist. Wir werden keinerlei Gnadengesuche anhören. Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar. Wenn Sie es wünschen, sei Ihnen gestattet, einen Diener Gottes Ihrer Wahl aufzusuchen, um Ihre Sünden zu bekennen. Aber Wir ordnen an, dass dieses Urteil vor Sonnenuntergang des heutigen Tages vollstreckt wird. Gott sei Ihrer Seele gnädig!«
Sie erhob sich, eine schlanke, dunkelhaarige Flamme der Gerechtigkeit, gekleidet in die Farbe der Reinheit und das Weiß nur durchbrochen von der violetten Schärpe des Richters. In ihrer Staatskrone funkelten Rubine und Saphire wie winzige Seen aus scharlachrotem und blauem Feuer. Erneut blickte die Kaiserin von Charis auf den verzweifelten Mann mit dem kalkweißen Gesicht hinab, den sie gerade zum Tode verurteilt hatte.
Merlin Athrawes blieb wie ein Schatten dicht hinter ihr, als sie sich dann abwandte und ohne ein weiteres Wort den Thronsaal verließ, in dem nichts als Stille herrschte.
.VIII.
Kloster Sankt Zherneau, Tellesberg,
Altes Königreich Charis
Es regnete – ein sanfter Regen für einen Nachmittag in Tellesberg. Pater Paityr Wylsynn kniete im Kräuter-und Gemüsegarten des Klosters Sankt Zherneau. Er spürte, wie sein schlichter, nur geborgter Habit in der Feuchtigkeit schwerer und schwerer wurde, je länger dieser dichte Nebelniesel über ihm herniederging. Es spielte keine Rolle, nein, Paityr genoss es sogar! Schließlich war es kein eiskalter Regen, der alles sofort durchweichte. Es ist eher wie eine zärtliche Berührung, vielleicht sogar ein Kuss von Gottes Welt , dachte er beinahe schon launig, während er mit schmutzigen Fingern zwischen den säuberlich aufgereihten Tomatenstauden Unkraut jätete. Rings um ihn stieg der warme, erdige Geruch feuchten Laubs und schwerer, durchweichter Erde auf wie der Weihrauch des Erzengels Sondheim. Es roch nach Wachstum .
Es ist so lange her, dass ich derart einfache Arbeit verrichtet habe , dachte er. Er war so sehr in seinen Pflichten und seiner Verantwortung aufgegangen – in diesem wahrscheinlich arroganten Glauben, so viele entscheidende Dinge hingen ganz allein von ihm ab! –, dass er vergessen hatte, dass selbst der größte und heiligste Mann auf Gottes Welt (und der war er eindeutig nicht!) doch nicht mehr war als nur ein einfacher Arbeiter im großen Garten eines ungleich größeren Arbeiters. Selbst wenn der Heilige Zherneau nicht mehr getan hätte, als ihn nur auf diese einfache Tatsache hinzuweisen, wäre Pater Paityr Erzbischof Maikel und Pater Zhon schon zu großem Dank verpflichtet.
Doch das war beileibe nicht alles, was der Heilige Zherneau für Paityr Wylsynn getan hatte.
Auf den Knien rutschte er einige Schritt weiter, um ein weiteres Büschel Unkraut zu fassen zu bekommen. Dann hob er das Gesicht den winzigen, zärtlichen Fingerspitzen des Regens entgegen. Zwischen zwei Reihen Tomatenstauden musste er heute noch jäten, und dann noch zwischen den Kürbissen. Das wäre dann eine echte Buße. Denn wenn es ein Gemüse gab, das Pater Paityr verabscheute, dann war es Kürbis.
Es ist wohl ein Beweis für die Kunstfertigkeit der Erzengel, dass sie die Menschen so unterschiedlich geschaffen haben , dachte er. Jede essbare Pflanze wird schließlich von jemandem gemocht. Ich weiß zwar nicht genau, warum sich die Erzengel bei Kürbissen diese Mühe gemacht haben, aber auch das gehörte gewiss zu Gottes Plan. Aber ob es auch zu Seinem Plan gehörte, dass jemand Rosenkohl mag? Da bin ich mir doch nicht so sicher, jetzt, wo ich darüber nachdenke!
Er lächelte und griff nach einem Klumpen feuchter Erde. Er blickte ihn an und drückte ihn vorsichtig, formte ein glattes Oval daraus. Zum ersten Mal seit viel zu langer Zeit fühlte er, wie eine andere, ungleich größere Hand auch sein Leben formte.
»Und, was halten Sie von ihm?«, fragte Zhon Byrkyt.
Er saß in seinem Sessel vor dem Fenster und beobachtete den rothaarigen jungen Priester, der den Klostergarten jätete. Der junge Mann schien den sanften Nieselregen gar nicht zu bemerken – obwohl sich Byrkyt recht sicher war, dass dieser Eindruck täuschte. Nein, dass Pater Paityr so langsam und sorgfältig arbeitete, konnte eigentlich nur bedeuten, dass er jeden Augenblick dort draußen aus tiefster Seele genoss.
»Sie kennen doch meine Meinung«, erwiderte Pater Ahbel Zhastrow. »Ich war
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