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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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überkrustet waren wie von bunten Muschelbänken. Das alles löst zwiespältige Gefühle in ihm aus, aber er hat keine Zweifel, auf welcher Seite sich die Wirklichkeit befindet und wohin er gehört.
    Die Fähre legt eben an. Fokko dreht sich eine Zigarette und wartet, bis die Fahrgäste von Bord sind. Die Lehrerin ist nicht dabei. Der Kapitän steht an der Reling und sucht auf der Ems nach feindlichen Schiffen.
    »Moin«, sagt er.
    »Wann mußte wieder in See stechen?« fragt Fokko.
    »Halbe Stunde.«
    »Letzte Tour?«
    »Jau.«
    Fokko tritt in den Windschatten des Ruderhauses und steckt sich die Zigarette an.
    »Weißt du, wo meine Mutter begraben liegt?«
    »Auf Borkum.«
    »Ja«, sagt er und stellt sich neben Hinrich.
    »Wieso?«
    »Ich hab’s nicht gewußt.«
    »Nicht gewußt?«
    »Nicht mehr.«
    »Und jetzt weißt du’s wieder!«
    »Der Alte hat’s mir gesagt.«
    »Geht’s ihm?«
    »Ähnlich wie mir.«
    »Wie bitte?«
    »Manchmal ist er völlig klar und man glaubt, er steht gleich auf, zieht sich was an, setzt die alte Kapitänsmütze auf und radelt nach Hause. Und zehn Minuten später kann man glauben, er ist so gut wie tot.«
    »Und was hat das mit dir zu tun?«
    »Tausende von alten Bilder stürzen auf mich ein, seit ich hergekommen bin. Andererseits kommt es mir vor, als wenn ich nichts richtig erinnern kann. Ich habe daran gedacht, daß meine Mutter gestorben ist, ich habe aber keine Ahnung gehabt, wo sie begraben liegt.«
    »Der alte Bakker hat uns mit seinem Kutter hochgetuckert. Der Diesel lief auf kleine Fahrt und der Sarg stand auf der Luke zum Fischbauch. Es war herrlichstes Wetter, die Möwen tanzten Ballett, weil sie dachten, wir wären auf Hering aus. Dein Alter stand vorn an der Ankerwinde und hat sich nicht gerührt, wir beide hockten zwischen den Verwandten, als wären wir auf dem Weg zur Gefangeneninsel, und der Pastor hat sich entsetzlich seekrank unter Deck verkrochen, kam erst am Anleger wieder hoch, und ich sehe ihn noch, wie er sich käseweiß in das schwarze Auto setzt, das uns erwartet hat.«
    »Du warst mit?«
    »Klar.«
    Fokko schnippt den Zigarettenstummel über Bord. In den Fenstern der Werfthalle blitzt ein Schweißgerät auf. Über dem Touristenbüro wummert monotone Musik, jemand liest das Pappschild, das an der geschlossenen Fischbude klebt, und durch das Sieltor kommt ein junges Paar geradelt. Die beiden rollen gemächlich auf die Fähre, stellen die Räder an die Reling, nehmen sich schleunigst und ohne jeden Seitenblick in die Arme und küssen sich inständig, als müßten sie nach dem Tauchen dringendst Luft schnappen.
    »Was ist mit deiner Merreth?« fragt Fox.
    »Sie ruft mich an.«
    »Du hast sie getroffen?«
    »Auf dem Amt, ja…«
    Fox schaut ihn an.
    »Schnapsidee, was?«
    Fokko antwortet mit einem Achselzucken.
    »Und nun fährst du zurück in die schöne Stadt.«
    »Kein Stück. Wenn es eine Schnapsidee war, so hat sie mich immerhin heimgebracht.«
    Fox nickt, richtet sich auf, reibt sich die Hände und schielt dabei auf seine Uhr.
    »Bin heute morgen bei dir ausgezogen«, sagt Fokko.
    »Wohnst jetzt in Pogum.«
    »Ja. Und da bleibe ich.«

Kapitel 12
     
    Das Wetter in diesen Januartagen ist fürchterlich unbehaglich, der Himmel hängt wie ein graufeuchtes Tuch über dem Land, ein kaum einmal nachlassender Wind treibt tagsüber von der Nordsee her einen hundekalten Regen auf die Küste zu, der in den Nächten zu frostklammem Geriesel wird, das erst in den späten Morgenstunden schmilzt und in den Äckern versickert.
    Fokko nimmt es kaum zur Kenntnis, räumt und kramt im Haus, ordnet das Brennholz, schneidet im Garten radikal zurück, was ihm unter Säge und Schere kommt, und an den Abenden macht er eine Art Kontrollgang über den Deich, schaut auf dem Fluß nach den Positionslichtern, holt hin und wieder ein paar Eier bei Frau Freesemann, wechselt einige belanglose Worte über das Wetter und die alten Zeiten, später sitzt er in der Küche, hört klassische Musik, blättert unermüdlich in dem Folianten über die Malerei des Goldenen Zeitalters oder schaut nur einfach auf seine Hände, bis das Feuer in der Kochmaschine verglüht. Er geht stets recht früh zu Bett, träumt in manchen Nächten wie wild die alten Osnabrücker Geschichten zusammen, wälzt sich mit Eva in aufgelöster Unrast, verändert mit Schwammheimer die trunkene Welt und sieht sich erstarrt in Dicks Tankstelle hinter der Kasse hocken. Zuweilen träumt er aber auch die stillen Sagen seiner

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