Die Uhr der Skythen (German Edition)
wäre er ihr Lieblingsenkel.
Das ist ganz einfach, Fokko van Steen. Alle Ware kaufst du bei mir. Am Ende des Monats errechnest du deinen Gewinn. Davon gibst du mir ein Viertel als Pacht.
Wieviel ist das…?
Was, das Viertel?
Der Gewinn.
Sie warf ihm einen großmütterlichen Blick zu.
Das hängt von der Jahreszeit ab, vom Wetter, von deiner Freundlichkeit, und wie oft und wie lange du in der Bude stehen magst. Und von deinen Bedürfnissen. Steinreich wirst du damit nicht.
Ab wann?
Am ersten Wochenende im März habe ich immer aufgemacht.
Seine Zweifel waren unversehens verflogen, die Fragen nach den Bedingungen hatten sich in Luft aufgelöst, nur eine Sorge beschäftigte ihn noch.
Es ist ein großzügiges Angebot, nicht wahr?
Ihr Lächeln war so mild wie die einzigartige Sahnesoße, in der ihre Heringsfilets mit Apfel und Gurke schwammen.
Ein faires, Fokko.
Die erste Woche im März, erklärte sie noch, werde sie mit ihm in der Fischbude stehen, damit er sehe, wie die Arbeit funktioniert und die Geschäfte laufen, anschließend könne er die Papiere unterschreiben oder wieder nach Pogum radeln. Gab ihm die zarte Hand, schenkte ihm ein letztes Lächeln und vertiefte sich wieder in die Buchführung.
Das Klingeln des Telefons besitzt für ihn einen ungeduldigen Klang, aber wahrscheinlich spiegelt es nur seine eigene Ruhelosigkeit, denn wer sollte es anders sein als Merreth, die er nun wohl mehr als zwölf Stunden nicht gesehen, nicht gesprochen, nicht berührt hat.
Fast hätten sie auch am Sonntag noch die Fähre verpaßt, hatten unter den wilden Spielen ihrer unerhörten Liebe jegliches Zeitgefühl verloren wie jede Scham voreinander und alles Ressentiment, obschon sie sich noch einen Tag zuvor fremd gewesen sein mußten. Aber die Vernunft war gottlob auf dem Festland geblieben, und als sie mit der Inselbahn zum Anleger wackelten, sprachen sie kein einziges Wort, hielten sich nur an den Händen, als könnten sie verlorengehen. Auf der Fähre hatte sie ein tollwütiger Hunger angesprungen, sie hatten sich auf die weichen Brötchen und die abscheulichen Süßigkeiten gestürzt, und als sie dann zur Ruhe gekommen waren, saßen sie wie ein taubstummes Geschwisterpaar beieinander, schauten während der langen Passage auf das Schiffsfenster, auf dem nichts weiter zu sehen war als hin und wieder ein Positionslicht im mattgrauen Dunst.
Als sie wieder an Land waren, war es Abend geworden. In einem großen Bogen waren sie mit den Rädern um den Hafen herum und die Petkumer Straße hinunter, hatten sich das Glück und die Müdigkeit aus den wunden Leibern gestrampelt, um außer Atem die letzte Emsfähre zu erwischen, und Hinrich, der sie am Vortag mit dem ersten Schiff von Süden nach Norden über den Fluß gefahren hatte, tat es nun mit dem letzten von Norden nach Süden, stand in seiner Kapitänsbutze, peilte mit messerscharfem Blick den finsteren Fluß rauf und runter und fragte beiläufig und ohne jedweden Unterton, wie es so gewesen sei auf der schönen Insel Borkum.
Merreth hatte für sie beide geantwortet.
Wir sind jetzt ein Paar, hatte sie gesagt. Mehr nicht.
Schön, hatte Hinrich geantwortet und lächelnd mit dem Raubvogelkopf genickt, als hätte er das sowieso gewußt oder kommen sehen, aber in seinem Blick entdeckte Fokko nicht das geringste ironische Blitzen, und als sie angelegt hatten, verabschiedete sie der Kapitän mit den liebenswürdigen Worten: Alles Gute!
Fokko hatte darauf bestehen wollen, sie noch nach Critzum zu begleiten, aber das wollte sie auf keinen Fall. Sie hatten die Räder aus dem Hafen geschoben und vor Dünenbroeks Gasthaus nahm sie ihn in den Arm, küßte ihn auf den Mund und sagte: Fokko.
Wieder nicht mehr.
Er wußte genau, da lag wohl alles drinnen, die vollkommen bedingungslose Hingabe, mit der sie dennoch keine Faser ihres Charakters verleugnete, jegliches Versprechen auf ewig, ohne den Stolz zu verlieren, der sie ebenso schmückte wie all ihre bunten Kleider. Fokko hatte trotzdem unbedingt benennen wollen, was geschehen war, wollte ihr versichern, daß die Verfassung der Insel auch auf dem Festland für alle Zeiten Gültigkeit besitzen werde, hatte sie ein vorläufig letztes Mal in seine Arme schließen und sich so der neu entdeckten Wege vergewissern wollen, rang eine Weile innerlich nach Worten, aber da hatte sie sich schon auf das Rad geschwungen und war beim Sieltor um die Ecke.
Du und ich, hatte er ihr leise nachgerufen, aber das hatte sie wohl nicht mehr
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