Die Uhr der Skythen (German Edition)
auf den Lippen in ihr Allerheiligstes vordringen soll. Für einen Moment steht er also mit dem Tablett in den Händen auf dem Flur, zitternd wie der Sekundenzeiger der Bahnhofsuhr zur vollen Stunde, hält mit seinem Atem die Zeit an, das Stöhnen und Zischeln dringt quasi ungeschützt aus ihrem Zimmer in sein Ohr, und erst, als er eigentlich schon sicher ist, welchen Spektakulums er Zeuge ist, drückt er mit der Schulter ihre Tür so weit auf, daß er mit dem Tablett und seinem vor Neugier brennenden Blick hindurchkommt.
Was er sieht, scheint ihm vertraut. Evas Kopf liegt auf dem Kissen, dreht sich unentwegt und scheinbar unter Schmerzen in wiederkehrender Kreisbewegung, daß jenseits ihres kleinen Ohres periodisch die rotfleckige Haut ihrer Wangen sichtbar wird und der blonde Zopf sich aus dem Nacken und über das untere Schulterblatt windet wie eine Schlange, die nach der Wärme eines fremden Körpers sucht und nach einem verschwiegenen Fleck, in den sie ihre Zähne drücken kann. Die unnachahmliche Linie ihrer Wirbelsäule, die sich in der Seitenlage in ihren zauberhaften Rücken schreibt, ist alles andere als orthopädisch perfekt, schwingt sich vielmehr wie ein musikalisches Zeichen durch ihre makellose Haut, folgt der erotischen Linie ihres Körpers in schwesterlicher Distanz und etwa dort, wo sie enden müßte, taucht am Rande der Bettdecke von ungefähr eine Hand auf, die ihre nicht sein kann, weil sie sichtbar behaart und mit einem Siegelring bestückt ist.
Nun ist alles ins Gegenteil gekehrt. Er selbst ist der Zeit entfallen, steht mit dem Tablett in den Händen erstarrt mit einem halben Schritt im Zimmer, mit einem festgefressenen Blick auf das Bett, in dem die Welt sich knurrend und gurrend weiterdreht, die blonde Schlange wird unruhiger, die haarige Hand folgt der musikalischen Linie, streift die Decke tiefer, sucht nach den Schatten des Tales zwischen den vortrefflichen Hügeln, die sich ihr nur scheinbar zu entwinden suchen.
Die Knie werden ihm weich, die Hände feucht, und ehe Fokko mit dem Frühstück in das Zimmer und auf das Bett stürzt, setzt er das Tablett lieber so behutsam wie möglich auf dem Holzfußboden ab, schleicht sich rückwärts aus der Szene, flüchtet verstohlen in die Küche zurück, ist mit zwei Schritten am Fenster und schaut in das stille Winterbild, als könnte er neuerdings sogar die Zeit zurückdrehen. Es ist aber alles wie es war. Der Wind spielt mit dem Schnee, die Welt ist überzuckert, und Eva hat behauptet, sie wollte endlich mal allein sein, ganz allein für sich. Ohne jemanden, der ungefragt Geschichten erzählt, offenbar aber durchaus nicht ohne jemanden, der ihr das famose Hinterteil trainiert.
Im Grunde hatten Fokko und Eva seit je kaum nennenswerte Berührungspunkte, weder in den divergierenden Tagesabläufen noch in privaten Interessen und Neigungen, außer ihre Häute, die sich offensichtlich anzogen und brauchten wie gegenpolige Systeme. Das war ihm wenigstens immer so vorgekommen.
Jetzt fliegen ihm die Gedanken davon wie die Schneeflocken vor dem gereizten Wind, er könnte dem selbstvergessenen Pärchen den heißen Kaffee ins Bett kippen, den eiskalten Orangensaft oder gleich das komplette Frühstückstablett, er könnte mit der ausgeleerten Sektflasche akribisch die beiden Gläser zerkleinern, die in idyllischer Zweisamkeit in der Spüle stehen und so tun, als wüßten sie keine Geschichte zu erzählen, er könnte ihnen die Wohnung anstecken, das Bett oder die Haare, er könnte zwischen sie fahren wie ein Erzengel, sie mit einem Fluch belegen, ihnen die ewige Verdammnis ansprechen oder die Zeit für eine Weile außer Gefecht setzen.
Eine säuerlich schwelende Wonne steigt in seinen Eingeweiden auf und legt sich wie ein teuflisches Balsam über die sterbenselenden Gefühle. Fokko schleicht in den Flur, fischt die Zauberuhr aus seiner Manteltasche, streichelt sie zärtlich und tritt an die Tür zu ihrer unheiligen Kemenate.
Der Fremde rutscht tiefer, ist soeben mit dem Kopf unter der Decke verschwunden und augenscheinlich bestrebt, den Fährten zu folgen, die seine Hand erkundet hat, das Weib dreht sich ihm irgend zu und auf den Rücken, ihr Kopf ist noch immer in diesen fiebrigen Drehbewegungen befangen, fällt nun auf Fokkos Seite, die Augen scheinen geschlossen, aber unter den eisenschweren Lidern hinweg trifft ihn Evas verständnisloser Blick.
Da öffnet er die Uhr.
Die Stille und die Regungslosigkeit sind ihm unheimlich. Es ist, als wäre er nun
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