Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
klopfte ihr auf die Schulter. »Ich weiß, es ist schwer, aber versuchen Sie, sich zusammenzunehmen. Allein schon wegen der Kinder. Sie müssen jetzt stark sein und an die beiden Kleinen denken!«
In den Gesichtern der beiden Kriminalbeamten war Erleichterung darüber zu erkennen, dass die tapfere Ehefrau endlich in Tränen ausgebrochen war. Einige Minuten später hob Yayoi den Kopf und wischte sich mit den Handrücken über die Augen. Sie war immer noch völlig durcheinander. Was Kuniko gesagt hatte, stimmte: »Du hast ja keine Ahnung!« Genau so war es auch. Sie hatte sich eingeredet, dass Kenji einfach irgendwohin verschwunden war, und sich damit alles leicht gemacht.
»Sind Sie in Ordnung?«
»Ja, entschuldigen Sie bitte.«
»Ich möchte Sie bitten, morgen aufs Revier zu kommen«, sagte Kinugasa, während er sich erhob. »Wir müssen alles noch einmal genau aufnehmen.«
»… ja.« Was wollten sie denn noch? War es immer noch nicht genug? Würde die Fragerei denn gar kein Ende nehmen? Benommen drehten sich Yayois Gedanken im Kreis.
Endlich wandte Imai, der sitzen geblieben war und in aller Ruhe noch einmal seine Notizen durchgesehen hatte, sich ihr zu: »Entschuldigen Sie bitte, Frau Yamamoto, noch eine letzte Frage, die wir bisher vergessen haben.«
»Ja?« Mit verweintem Gesicht sah Yayoi zu Imai hinüber. Wie oft sie sie auch wegwischte, die Tränen wollten einfach nicht versiegen. Imai starrte sie an, als studiere er ihre nassen Augen.
»Es geht um den Tag darauf, Mittwoch. Um wie viel Uhr genau
sind Sie von der Fabrik zurückgekommen? Und sagen Sie uns kurz, was Sie an diesem Tag sonst noch gemacht haben.«
»Um halb sechs war die Schicht zu Ende, ich habe mich umgezogen und bin nach Hause gefahren. Um kurz vor sechs war ich hier.«
»Kehren Sie nach der Schicht immer sofort heim?«, fragte Imai kühl.
»Nun ja, normalerweise…« Mit vor Schock immer noch benebeltem Kopf bemühte sich Yayoi während des Antwortens verzweifelt, die Dinge, die sie sagen durfte, von denen zu trennen, die sie nicht verraten sollte. »Manchmal setze ich mich nach der Schicht noch mit den anderen zusammen, auf einen Tee und um ein bisschen zu reden, aber an dem Tag bin ich sofort nach Hause gefahren, aus Sorge, weil mein Mann nicht zurückgekommen war.«
»Ja, das ist verständlich«, sagte Imai und nickte.
»Zu Hause habe ich mich dann für ungefähr zwei Stunden hingelegt, bevor ich die Kinder in den Hort gebracht habe.«
»Mit dem Auto? Am Mittwoch hat es geregnet.«
»Nein, wir besitzen keinen Wagen, und ich habe auch gar keinen Führerschein. Ich bringe sie immer mit dem Fahrrad, einen vorne, einen hinten, wissen Sie.«
Wieder schauten sich die beiden an. Dass sie nicht Autofahren konnte, war ein weiterer Pluspunkt für Yayoi.
»Und dann?«
»Etwa um halb zehn bin ich zurückgekommen, da habe ich an der Müllsammelstelle noch eine Frau aus der Nachbarschaft getroffen, mit der ich kurz geredet habe. Dann habe ich Wäsche gewaschen, aufgeräumt und gegen elf habe ich wieder versucht einzuschlafen. Um eins kam ein Anruf aus der Firma meines Mannes. Sie sagten, dass er noch nicht zur Arbeit erschienen sei, und das hat mich dann völlig aus der Fassung gebracht.«
Die Antworten kamen ihr flüssig über die Lippen, und das beruhigteYayoi. Jetzt tat es ihr um jede Sekunde Leid, in der sie Hass auf Masako verspürt hatte.
»Ja, vielen Dank, das wäre es dann für den Augenblick. Entschuldigen Sie nochmals.« Imai verbeugte sich höflich und klappte sein Notizbuch zu. Kinugasa stand mit verschränkten Armen da und wartete; er schien ungeduldig zu sein.
Die beiden Beamten zogen sich im Eingang die Schuhe an. Während sie sie verabschiedete, konnte Yayoi förmlich spüren, wie sich ihr anfänglicher Verdacht gegen sie ganz allmählich in Mitleid verwandelte.
»Bis morgen dann.«
Die beiden schlossen die Tür hinter sich und gingen fort. Yayoi sah auf die Armbanduhr. Schon bald würden Kenjis Mutter und ihr Schwager eintreffen. Sie musste sich auf eine rührselige Szene gefasst machen. Yayoi schluckte. Aber die würde sie leicht überstehen können, indem sie ebenfalls weinte. Sie hatte aus der Unterredung mit den beiden Kriminalbeamten gelernt. So schnell würde sie sich durch keine Situation mehr aus dem Konzept bringen lassen.
Mittlerweile fühlte sie sich weder ratlos noch durcheinander. Es war wieder still geworden im Haus. Sie sah sich um und bemerkte plötzlich, dass sie genau auf dem Platz stand, wo
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