Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out

Titel: Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natsuo Kirino
Vom Netzwerk:
Kenji gestorben war. Sie hüpfte darauf herum.

VIERTES KAPITEL

    Der schwarze Dämon

1
    Die Hundstage schienen da zu sein. Mitsuyoshi Satake stand mit verschränkten Armen am Fenster seiner Wohnung im ersten Stock und schaute durch die Jalousie nach draußen. Er sah vom Sonnenlicht ausgeleuchtete, glei ßend helle Stellen und dunkle Schattenflecken. Die hochsommerliche Mittagssonne teilte die ganze Stadt in Schwarz und Weiß. Glänzende Blattflächen der Bäume und Sträucher am Stra ßenrand, schwarze Blattunterseiten. Die Menschen auf dem Bürgersteig und ihre Schatten. Die weißen Linien des Zebrastreifens, die verbogen aussahen, als wären sie geschmolzen. Satake dachte an das unangenehm klebrige Gefühl, wenn man mit den Absätzen im von der Sonne aufgeheizten, weichen Asphalt versank, und musste schlucken.
    Nur ein paar Blöcke entfernt ragte die Hochhausgruppe westlich des Bahnhofs von Shinjuku auf. In den vertikalen Streifen leuchtend blauen Sommerhimmels zwischen den Gebäuden war kein einziges Wölkchen zu entdecken. Überall blitzte und flimmerte es weiß, dass man kaum hinsehen konnte. Reflexartig kniff Satake die Augen zu, doch die Nachbilder des Sommers hatten sich in seine Netzhaut gebrannt und wollten einfach nicht verschwinden.
    Satake schloss sorgfältig die Jalousien, um das Licht auszusperren, und wandte sich um. Langsam gewöhnten sich seine Augen an die dunkle Wohnung. Sie hatte zwei, mit alten Tatami ausgelegte Sechs-Matten-Zimmer, die durch eine vergilbte Papierschiebetür unterteilt waren. Mitten im von der Klimaanlage gut durchgekühlten, düsteren Raum stand ein Fernseher, der sein bläulich weißes Flackern aussandte. Außer dem Fernseher waren keine
Möbel vorhanden. Neben dem Eingang besaß die Wohnung zwar eine kleine Küche, in der es aber weder Töpfe noch Geschirr gab, da er so gut wie nie kochte. Ein spartanisches, fast ärmliches Zuhause für einen Mann, der doch nach außen hin so auf eine hervorstechende Erscheinung achtete.
    Solange er sich in seinen eigenen vier Wänden aufhielt, kümmerte ihn seine Kleidung genauso wenig wie die Wohnungseinrichtung. Er trug ein weißes Hemd und eine an den Knien ausgebeulte graue Hose. An seinem wahren Gesicht erkannte man, wie sehr er sich vor der Außenwelt in Acht nahm, sobald er einen Schritt vor die Tür setzte, und wie sehr er seine Rolle als Mitsuyoshi Satake, Nachtclub- und Spielkasinobesitzer, nur spielte. Satake krempelte sich die Ärmel seines Hemds hoch und wusch sich mit Leitungswasser über Gesicht und Hände. Das Wasser war lauwarm.
    Er trocknete sich mit einem Handtuch ab und hockte sich im Schneidersitz vor den großen Fernsehapparat. Es lief die knisternde Synchronfassung eines alten amerikanischen Spielfilms. Ratlos strich er sich ein paarmal über den kurz geschorenen Schädel und ließ die Augen vom Bildschirm weggleiten. Er wollte gar nicht fernsehen. Er wollte nur die sinnlosen, künstlichen Lichtstrahlen auf sich spüren.
    Satake hasste den Sommer. Nicht, weil er die Hitze nicht vertragen konnte, sondern weil er die hochsommerliche Atmosphäre verabscheute, die sich in den Hintergassen der Großstadt breit machte. Die Ereignisse, die sein Leben geprägt hatten, waren beide in dieser Stimmung vorgefallen. Seinen Vater hatte er in den Sommerferien des zweiten Oberschuljahres, bevor er von zu Hause ausriss, so heftig zusammengeschlagen, dass er ihm den Kiefer zerschmettert hatte, und der Gewaltakt, der ihn für immer verändern sollte, war ebenfalls im August geschehen, in einem Zimmer, in dem die ganze Zeit die Klimaanlage geächzt hatte.
    Eingehüllt in die mit Abgasen und menschlichen Ausdünstungen angefüllte, drückende Schwüle der Großstadt, verwischte sich die Grenze zwischen Innen und Außen. Die verfaulte Stadtluft drang durch die Poren seiner Haut und beschmutzte ihn; im Gegenzug krochen ihm die aufgeblähten Emotionen aus dem Körper und schwappten auf die Straße. Der Tōkyōter Hochsommer
nährte in ihm die Angst, genauso verdorben zu werden wie die gefräßige, liederliche Stadt. Deshalb hätte er sich am liebsten den ganzen Sommer vom Hals gehalten, bevor der sich mit all der von den Klimaanlagen auf die Straßen hinausgepusteten Hitze seiner bemächtigte.
    Die Regenzeit war nun endgültig vorbei, der richtige Sommer hatte Einzug gehalten, und das war wohl auch der Grund für die merkwürdige Stimmung, die ihn überkommen hatte. Er musste die Hitze der Stadt so schnell wie möglich aus dieser Wohnung

Weitere Kostenlose Bücher