Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
einzige Mittel, mit dem sie dem Instinkt folgen konnte, sich die Freiheit zu erhalten.
»Entschuldigen Sie, ich bin etwas durcheinander.«
»Schon gut, machen Sie sich keine Sorgen, das geht allen so. Ich kann Sie gut verstehen. Sie halten sich noch fabelhaft, Frau Yamamoto. Viele andere würden jetzt schreien und weinen und nicht
einmal mit uns sprechen können«, tröstete sie Kinugasa und wartete auf ihre nächsten Worte.
»Er trug noch ein weißes Hemd, und eine Krawatte mit schlichtem Muster auf dunkelblauem Untergrund«, setzte sie endlich verhältnismäßig gefasst ihre Angaben zu Kenjis Kleidung fort. »Und schwarze Schuhe.«
»Was war die Farbe des Anzugs?«
»Ein helles Grau.«
»Also Aschgrau.« Kinugasa schrieb in sein Notizheft. »Können Sie uns auch den Namen des Herstellers nennen?«
»Die Marke weiß ich nicht, aber wir kaufen immer alles bei Minami, dem billigen Herrenausstatter, wissen Sie. Auch die Hemden.«
»Und die Schuhe? Waren die auch von dort?«
»Nein. Die Marke hab ich nicht im Kopf, aber ich denke, sie stammen aus dem billigen Discountladen hier in der Nähe.«
»Wie heißt der Laden bitte?«, fragte Imai.
»Tōkyō Schuhcenter, glaube ich.«
»Und die Unterwäsche?«, fragte Imai weiter.
»Die hole ich immer im Supermarkt...«
Als Yayoi verschämt die Augen zu Boden schlug, rief Kinugasa ihn zur Ordnung: »Solche Details können wir doch auch morgen noch im Einzelnen nachfragen, dafür ist die Zeit jetzt zu knapp.«
Imai verfiel wieder in Schweigen, aber er schien verstimmt zu sein.
»Wann hat Ihr Mann für gewöhnlich morgens das Haus verlassen, um zur Arbeit zu gehen?«
»Er ist immer mit dem Regional-Express um sieben Uhr fünfundvierzig Richtung Shinjuku gefahren, jeden Morgen.«
»Und am Dienstag haben Sie ihn danach nicht wiedergesehen, nicht wahr, das heißt, er hat auch nicht noch einmal angerufen?«
»Nein«, antwortete Yayoi und presste, wie von Trauer überwältigt, die Fingerspitzen auf die Augen.
Kinugasa sah sich in dem engen Zimmer um, als sei ihm das gerade erst eingefallen. Überall lagen Spielsachen und Bilderbücher herum, die die Eltern noch schnell für die Kinder besorgt und mitgebracht hatten.
»Wo sind eigentlich die Kinder?«
»Meine Eltern haben sie mit nach draußen genommen.«
»Ach ja, das ist gar nicht gut.« Kinugasa schien wieder eingefallen zu sein, dass er das ja selbst so angeordnet hatte, und sah auf seine Armbanduhr. Es war schon kurz vor elf.
»Ich glaube, sie sind mit ihnen in ein Family-Restaurant in der Nähe gegangen.«
»Ah ja. Trotzdem, lassen Sie uns rasch zum Schluss kommen.«
Imai sah von seinem Notizbuch auf und fragte: »Hm, wo ist Ihr Elternhaus, Frau Yamamoto, und das Ihres Mannes?«
»Mein Mann stammt aus der Präfektur Gunma. Meine Schwiegermutter und mein Schwager müssten eigentlich bald hier eintreffen. Ich selbst komme aus Yamanashi.«
»Sie wussten sicher alle schon von dem Verschwinden Ihres Mannes, nicht wahr?«
»Nein... hm, ich habe...« Yayoi verstummte, »…ich hatte ihnen noch nichts davon gesagt.«
»Und warum nicht?«, fragte Kinugasa und fuhr sich dabei mit beiden Händen über die borstigen Haarstoppeln.
»Warum? Ja also... In der Firma hatte man mir gesagt, so etwas käme bei Männern nun mal öfter vor, ich solle mir keine Sorgen machen, er würde bestimmt bald wiederkommen, und da wollte ich nicht gleich so viel Aufhebens machen.«
Imai schaute verwundert in sein Notizbuch. »Aber Frau Yamamoto, Dienstagnacht ist Ihr Mann nicht nach Hause gekommen. Das heißt, am frühen Mittwochmorgen war er nicht da. Aber am frühen Mittwochabend haben Sie schon bei der Polizei angerufen und wollten eine Suchanzeige aufgeben. Das haben Sie dann am Donnerstagmorgen auch tatsächlich getan. Uns haben Sie also schon recht früh Meldung gemacht, warum haben Sie dann nicht auch zu Hause Bescheid gesagt? Normalerweise bespricht man so etwas doch zuerst mit der Familie.«
»Nun ja, wissen Sie, als wir geheiratet haben, waren beide Familien dagegen, und irgendwie haben wir uns seither nie besonders nahe gestanden, deshalb...«
»Darf ich fragen, warum Ihre beiden Eltern sich gegen die Eheschließung gestellt haben?«
»Ja also, meine Eltern mochten Kenji nicht besonders, und
seine Mutter... wie soll ich sagen, sie hat sich jedenfalls auch quer gestellt …«
Kenjis Mutter und Yayoi standen tatsächlich auf Kriegsfuß miteinander. Es hatte so gut wie keinen Kontakt gegeben. Sie dachte schon mit
Weitere Kostenlose Bücher