Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
etwas früher als die anderen. Den kräftigen Regen und Wind, die den drückenden Himmel vom gestrigen Abend endlich zum Bersten gebracht zu haben schienen, empfand sie als Wohltat. Entschlossen klappte sie den Schirm wieder zu, der ihr bei diesem Wetter ohnehin nichts nutzte, und rannte los, dem Wind trotzend, auf den Parkplatz zu. Von den dicken Regentropfen war sie im Nu bis auf die Haut durchnässt. Die Haarsträhnen peitschten ihr um den Kopf, nur die Handtasche mit dem Geld hielt sie fest vor die Brust gepresst. Sie lief weiter, an der stillgelegten Fabrik vorbei. Der Kanaldeckel, den Kazuo zur Seite geschoben hatte, stand immer noch offen, und
man hörte das wilde Rauschen des Wassers. Damit durften Kenjis andere Habseligkeiten mit Ausnahme des Schlüssels wohl endgültig fortgespült worden sein. Bei dieser Vorstellung erschien ein Lächeln auf Masakos Gesicht, während der Wind sie fast davonblies. Sie würde frei sein. Ja, ich werde frei sein, dachte sie und fühlte sich allein durch den Gedanken schon erleichtert.
Als sie ihren Corolla erreichte, ließ sie sich durchnässt, wie sie war, auf den Fahrersitz gleiten. Mit dem Lappen aus der Ablage unter dem Armaturenbrett trocknete sie sich nur die Arme ab. Die nasse Jeans klebte ihr schwer an den Beinen. In dem Versuch festzustellen, ob sie gegen den heftigen Regen überhaupt eine Chance hätten, schaltete Masako die Scheibenwischer auf die schnellste Stufe und machte die Lüftung an. Der erste kalte Wind aus dem Gebläse sorgte für Gänsehaut auf ihrer feuchten Haut.
Dann ließ sie den Motor an und fuhr langsam den Weg zurück, den sie gerade gegangen war. Als sie sich seitlich der Fabrik näherte, kam gerade Kuniko heraus, wie immer nicht zu übersehen in geblümten Leggings und einem weiten schwarzen T-Shirt. Sie sah flüchtig zu Masakos Wagen herüber, spannte aber ohne Gruß ihren blauen Schirm auf und machte sich auf den Weg durch den Sturm. Sofort drohte der Schirm fortzufliegen. Masako verfolgte das Schauspiel im Rückspiegel.
In der Fabrik würde sie zwar weiter mit ihr zusammenarbeiten, sofern es sich ergab, aber ansonsten wollte sie nichts mehr mit Kuniko zu tun haben. Im selben Moment, als wäre Masakos Wunsch erhört worden, verschwand Kunikos vom Wind gebeutelte Gestalt aus ihrem Blickfeld.
Sie sah Yoshië die Außentreppe herunterkommen. Erstaunt beobachtete sie, wie kurz dahinter Kazuo erschien, der schützend seinen durchsichtigen Plastikschirm über Yoshië hielt. Er hatte die schwarze Kappe, die sie schon kannte, tief ins Gesicht gezogen.Yoshië, die die Augen im heftigen Regen zusammenkniff, kam auf Masakos Wagen zu und klopfte ans Fenster der Fahrerseite.
»Entschuldige, aber kannst du bitte kurz den Kofferraum aufmachen?«
»Wieso?«
»Er scheint mir das Fahrrad ins Auto laden zu wollen«, sagte
Yoshië und zeigte dabei auf Kazuo. Masakos und Kazuos Augen trafen sich, seine schauten treu und rein wie die eines Hundewelpen. Ohne ein Wort zog Masako vom Fahrersitz aus den Hebel zum Öffnen des Kofferraums. Die Klappe schob sich vor die Heckscheibe, so dass man nichts mehr sehen konnte, wurde aber sofort von einer Windböe erfasst und begann, bedenklich aufund zuzuschlagen. Masako drückte die Tür auf und stieg aus. Dicke Regentropfen prasselten wie Nadelstiche auf ihre Arme, die sie eben noch abgetrocknet hatte.
»Bleib sitzen, du wirst ja ganz nass!«, schrie Yoshië ihr zu. Bei diesem tobenden Unwetter konnte man sich nur brüllend verständigen.
»Egal, nass bin ich sowieso!«
»Wieder rein.« Kazuo war auf sie zugekommen und drückte sie an den Schultern mit aller Kraft auf den Sitz zurück. Sie fügte sich dieser Geste, die keine Widerrede duldete, und blieb sitzen. Gleich darauf ließ sich Yoshië in den Beifahrersitz fallen.
»Was für ein fürchterliches Wetter!«
Da kam Kazuo, der offenbar inzwischen zum Fahrradabstellplatz hinter der Fabrik gelaufen war, auch schon mit Yoshiës Rad zum Auto zurück. Mühelos hob er es in den Kofferraum und schien es irgendwie zu schaffen, den alten, sperrigen Drahtesel so zu verstauen, dass nur noch das Vorderrad ein wenig herauslugte. Masako stieg aus, um das Ganze zu begutachten. Der Deckel des Kofferraums würde einen schmalen Spalt offen stehen bleiben müssen, aber das dürfte die Fahrt nicht allzu sehr behindern.
»Wieder rein.« Mit nassem Gesicht, als wäre er gerade aus dem Schwimmbecken aufgetaucht, sah Kazuo sie an. Das weiße T-Shirt klebte ihm am Körper und ließ
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