Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
macht doch nichts, Sie konnten ja auch nichts davon wissen.«
»Ist er krank gewesen?«, fragte sie scheu und im Tonfall eines Menschen, der noch nicht viel mit der Realität des Todes konfrontiert worden war.
»Nein. Ist Ihnen denn wirklich nichts davon zu Ohren gekommen?«, gab Yayoi unwillkürlich zurück und schaute sie forschend an.
Frau Morisaki machte große Augen und schüttelte den Kopf. »Nein, wieso?«
»Mein Mann ist Opfer eines Verbrechens geworden. Haben Sie von dem Fund der zerstückelten Leiche im Koganei-Park gehört?«
»Ja, schon, aber... um Himmels willen!« Frau Morisakis Gesicht bewölkte sich zusehends. Sie schien nicht im Traum daran gedacht zu haben, dass Yayoi eine Angehörige des Mordopfers sein könnte. Sie blickte zu Boden, und Yayoi sah mit Erstaunen zu, wie ihr Tränen in die Augen stiegen.
»Was haben Sie denn? Warum weinen Sie?«
»Ach, ich dachte nur... wie furchtbar, Sie tun mir so Leid!«
»Danke!« Yayoi war gerührt, da sie zum ersten Mal das Gefühl hatte, von einem Außenstehenden echte, ehrlich gemeinte Anteilnahme zu erfahren. Die Leute, die von der Sache wussten, hatten ihr zwar ihr Beileid bekundet, aber Yayoi hatte gespürt, dass sie ihr tief im Herzen misstrauten. Kenjis Familie gab ihr die Schuld an allem, und ihre eigenen Eltern waren nach Hause zurückgefahren.
Auf Masako konnte man sich zwar verlassen, aber sie kam ihr vor wie ein scharfes Rasiermesser, an dem man sich schnitt, sobald man es berührte; sie flößte ihr Furcht ein.Yoshië maß alles mit uralten Maßstäben, und Kuniko, dieses nichtsnutzige Weib, würde sie am liebsten nie mehr im Leben wiedersehen.
Yayoi wurde immer sentimentaler. »Ich bin Ihnen sehr dankbar, wirklich. Ich fühle mich manchmal ziemlich einsam, wissen Sie. Hier in der Nachbarschaft scheint man mich auch irgendwie schräg anzusehen.«
»Nun danken Sie mir doch nicht auch noch! Ich muss wirklich furchtbar weltfremd sein, und dann rutschen mir immer so merkwürdige Sachen heraus, die andere Leute verletzen könnten. Aus Furcht davor möchte ich am liebsten gar nichts mehr sagen. Deshalb habe ich auch in der Firma gekündigt. Ich dachte, beim Stofffärben kann ich wenigstens für mich bleiben, in meiner Welt, und muss nicht viel reden.«
»Ja, das kann ich gut verstehen.« Stockend begann Yayoi, ihr in groben Zügen zu schildern, was passiert war. Frau Morisaki, die anfangs nur entsetzt zuhörte, schien die Geschichte mehr und mehr zu fesseln, denn sie warf einige Fragen ein.
»Dann haben Sie Ihren Ehemann also an dem Morgen zum letzten Mal gesehen, als er sich von Ihnen verabschiedete, um zur Arbeit zu gehen?«
»Ja, genau.« Inzwischen glaubte Yayoi selbst daran, dass es sich so abgespielt hatte.
»Wie schrecklich für Sie!«
»Ja, das ist bitter. So schnell kann es gehen – jeder Abschied kann ein Abschied für immer sein.«
»Und? Hat man den Täter denn noch nicht gefasst?«
»Nein, man weiß ja noch nicht einmal, wer es gewesen sein könnte!« Yayoi seufzte. Während sie Lüge an Lüge reihte, verlor in ihrem Bewusstsein sogar die Tatsache, dass sie selbst die Mörderin war, mehr und mehr an Kontur.
Frau Morisaki empörte sich: »Es gehört schon etwas dazu, jemanden zu zerstückeln – so etwas Grausiges kann doch nur ein Verrückter getan haben!«
»Ja, das meine ich auch. Schrecklich, man kann es sich gar nicht vorstellen!« Yayoi musste an die Fotos von Kenjis Handteller denken,
die ihr der Inspektor gezeigt hatte. Sie erinnerte sich genau an den Augenblick, da sie Masako aus tiefster Seele gehasst hatte. Wieder wurde der Widerwille gegen sie und Yoshië in ihr lebendig, die Kenji so zugerichtet hatten. Obwohl sie wusste, wie unsinnig das war, wandelte sich mit jedem Mal, da sie die Tatsachen verdreht schilderte, auch Schritt für Schritt ihre eigene Erinnerung.
Das Telefon klingelte. Wahrscheinlich war es Masako. Jetzt, wo sie im Begriff stand, in Frau Morisaki eine neue Freundin zu gewinnen, war es ihr zum ersten Mal lästig, mit Masako reden zu müssen, die über alles genau Bescheid wusste und ihr Anweisungen gab. Sie konnte sich eine Weile nicht dazu durchringen abzunehmen und ließ es klingeln.
»Bitte, kümmern Sie sich nicht um mich«, drängte Frau Morisaki sie, und Yayoi nahm gezwungenermaßen doch noch den Hörer ab.
»Ja, hallo, Yamamoto?«
»Frau Yamamoto, Kinugasa hier«, hörte sie die vertraute Stimme des Inspektors. Kinugasa und Imai riefen jede Woche einmal an, um sich nach ihrem Befinden
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