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Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out

Titel: Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natsuo Kirino
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Schlafzimmer und zog sich gerade die nassen Sachen aus, als im Wohnzimmer das Telefon läutete. Noch in Unterwäsche nahm Masako den Hörer ab: »Ja, bitte?«
    »Hallo, ich bin’s, Yoshië.«
    »Ach, Meisterin. Was ist los?«
    »Was soll ich denn jetzt machen, um Himmels willen...« Yoshië hörte sich an, als würde sie gleich losheulen.
    »Jetzt erzähl erst mal, was los ist.«
    »Kannst du nicht kurz vorbeikommen? Es ist etwas Schreckliches passiert!«
    An den nackten Armen bekam Masako Gänsehaut vor Kälte. Sie hatte noch nirgendwo im Haus die Heizung angestellt, aber für die Gänsehaut war nicht allein die Kälte verantwortlich. Sie platzte fast vor Ungeduld und Sorge, weil sie auf der Stelle wissen wollte, was vorgefallen war. »Verrat mir doch endlich, was los ist!«
    »Das kann ich hier am Telefon nicht sagen, und weg kann ich gerade auch nicht«, flüsterte Yoshië, weil sie offenbar vermeiden wollte, dass die bettlägerige Schwiegermutter etwas mitbekam.
    »Also gut. Ich fahr sofort los.«
    Masako stieg in ihre Jeans und zog den schwarzen Pullover über, den sie sich vor kurzem gekauft hatte. Sie hatte wieder angefangen,
sich eine Garderobe nach ihrem Geschmack zusammenzustellen, wie damals, als sie bei der Sparkasse beschäftigt gewesen war. Den Grund dafür wusste sie nur zu gut. Sie war dabei, ihr Ich wieder zusammenzusuchen, das sie irgendwann weggeworfen hatte. Aber das war wie mit einer kaputten Puppe, die man wieder zusammennähen wollte: Selbst, wenn sie die Einzelteile komplett wiederfände – sie würde nie mehr exakt so werden können, wie sie einmal gewesen war.
     
    Hastig setzte sie ihren Wagen heraus und parkte ihn zwanzig Minuten später in einer Nebenstraße der Gasse, in der Yoshië wohnte.
    Sie spannte den schwarzen Schirm auf und lief auf Yoshiës ärmliche Behausung zu, wobei sie aufpassen musste, dass sie nicht in eine der Pfützen trat, die sich in den vielen Schlaglöchern im Stra ßenpflaster gebildet hatten. Von einem Bein aufs andere tretend, wartete Yoshië schon vor dem Haus auf sie. Über ihrem grauen Jersey-Anzug trug sie eine vernoppte, senffarbene Strickjacke. Sie war aschfahl im Gesicht und schien um mindestens zehn Jahre gealtert. Als sie Masako sah, spannte sie den Schirm auf, der an der Hauswand lehnte, und kam ihr entgegen.
    »Können wir bitte hier draußen bleiben?« Sie stieß weißen, mit Seufzern vermischten Atem aus.
    »Von mir aus«, antwortete Masako unter ihrem schwarzen Schirm.
    »Entschuldige, dass du extra herkommen musstest.«
    »Was ist denn nun passiert?«
    »Das Geld ist weg.« Yoshië liefen die Tränen über die Wangen. »Ich hatte es in der Vorratsgrube unter dem Küchenfußboden versteckt, und jetzt ist es weg.«
    Entsetzt fragte Masako: »Die ganzen anderthalb Millionen?!«
    »Nicht ganz. Ein bisschen hab ich ausgegeben, und dir hab ich die Schulden zurückgezahlt, es waren also noch eine Million vierhunderttausend. Aber das ist alles weg.«
    »Weißt du, wer es genommen hat?«
    Yoshië nickte kleinlaut und antwortete widerstrebend: »Wahrscheinlich Kazuë.«
    »Deine älteste Tochter?«

    »Ja. Als ich eben vom Einkaufen nach Hause kam, war mein Enkel verschwunden. Vielleicht ist er irgendwohin zum Spielen gegangen, hab ich mir noch gesagt, aber bei dem Regen? Merkwürdig, dachte ich und hab ihn überall gesucht, und dabei musste ich dann entdecken, dass alle seine Sachen weg waren. Und als ich dann die Schwiegermutter ins Verhör genommen hab, ist herausgekommen, dass Kazuë da war und mit dem Kleinen weggegangen ist. Ich bin sofort in die Küche, um nachzusehen, und da war dann die Bescherung.« Yoshië war untröstlich.
    »Ist so etwas früher schon einmal vorgekommen?«
    »Kazuë hat ständig solche Sachen gemacht«, gab Yoshië beschämt zu. »Hätte ich es nur zur Bank gebracht! Aber dann hätte das Amt womöglich Wind davon bekommen, und das wäre schlecht gewesen für mich.«
    »Hast du irgendjemandem von dem Geld erzählt, Meisterin?«
    »Na ja, erzählt nicht direkt, aber Miki gegenüber habe ich schon angedeutet, dass ich bald zu etwas Geld kommen würde.«
    »Wegen der College-Geschichte?«
    »Ja eben. Sie hat sich so gefreut, als ich ihr gesagt habe, dass es fürs College reichen würde...« Yoshië brach wieder in Tränen aus. »Der eigenen Schwester das Schulgeld zu klauen... Ach, was ist das nur für ein herzloses, erbärmliches Geschöpf, wirklich!«
    »Und du bist sicher, dass Miki es nicht gewesen ist?«
    »Sie war es nicht,

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