Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
Während sie über den kurzen Flur vor ihm herging, fragte sie sich, mit welchem Gesichtsausdruck er ihr wohl folgen mochte, und es beschlich sie eine unbestimmte Furcht. Allmählich bereute sie, den Mann so bedenkenlos eingelassen zu haben.
»So, bitte, dort ist der Altar.« Yayoi führte ihn ins Schlafzimmer mit dem Totenaltar. Satō kniete nieder, rutschte auf den Tatami bis vor den Altar und faltete die Hände. Als Yayoi dann von der Küche aus, wo sie Tee machte, wieder einen Blick ins Schlafzimmer warf, fiel ihr verwundert auf, dass er weder einen Umschlag mit Beileidsgabe noch sonst etwas dabeihatte. Nicht, dass sie auf das Geld erpicht gewesen wäre, aber wenn er schon eigens hierher kam, gehörte es doch zum guten Ton, eine Beileidsgabe oder ein Trauergeschenk mitzubringen!
»Ich danke Ihnen vielmals. Bitte, treten Sie doch ein.«Yayoi hatte auf dem Wohnzimmertisch grünen Tee serviert. Satō nahm ungeniert
Platz und sahYayoi rundheraus an. In seinen Augen konnte sie weder Trauer um Kenji noch Mitleid mit ihr oder auch nur Neugier für den Mordfall erkennen, und das war ihr unheimlich.
Satō bedankte sich zwar, rührte aber den Tee nicht an. Sie stellte ihm einen Aschenbecher hin, aber er rauchte nicht. Seine Hände blieben fest auf den Knien liegen, ohne dass er auch nur ein einziges Mal Anstalten machte, sie zu bewegen. Ganz so, als wolle er bewusst nichts anrühren, um ja keine Beweise für seinen Besuch zu hinterlassen. Yayoi fürchtete sich immer mehr. Auf einmal bekam Masakos schon wiederholt ausgesprochene Warnung, »sich besser in Acht zu nehmen«, Dringlichkeit für sie.
»Wo haben Sie meinen Mann eigentlich kennen gelernt?«, fragte Yayoi, wobei sie versuchte, möglichst unbekümmert zu klingen und das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken.
»In Shinjuku.«
»Wo denn da?«
»In Kabuki-chō.«
Erschrocken blickte Yayoi auf. Satō bemerkte ihre Furcht und lächelte milde. Doch dieses Lächeln beschränkte sich lediglich auf seine vollen Lippen, in seinen Augen war nach wie vor kein bestimmter Ausdruck zu erkennen.
»Was meinen Sie mit Kabuki-chō?«
»Aber Frau Yamamoto, nun tun Sie doch nicht so.«
»Wie bitte!« Vor Entsetzen verlor Yayoi die Fassung. Denn plötzlich hatte sie wieder Kinugasas Stimme im Ohr, der sie vor einiger Zeit angerufen und ihr mitgeteilt hatte, dass der Kasinobesitzer verschwunden sei. Aber noch hatte sie einen Funken Hoffnung, dass das doch alles nicht wahr sein konnte. »Was meinen Sie damit?«
»Ich hatte mit Ihrem Gatten eine kleine Meinungsverschiedenheit. An dem bewussten Abend...«, sagte Satō und brach ab, wie um Yayois Reaktion abzuwarten. Augenblicklich stockte Yayoi der Atem. »Das, was danach passiert ist, sollten Sie ja am besten wissen. Mich haben Sie damit in größte Schwierigkeiten gebracht. Meine Läden mussten dichtmachen, mein Geschäft ist ruiniert. Aber das können Sie sich ja nicht einmal vorstellen. Sie sitzen hier draußen in Ihrem winzigen Häuschen mit Ihren Kindern und leben weiter friedlich vor sich hin...«
»Was reden Sie da! Gehen Sie, verlassen Sie mein Haus!« Yayoi
wollte aufstehen, ihr Hintern schwebte schon über der Sitzfläche des Stuhls.
»Bleiben Sie sitzen!«, befahl Satō bedrohlich leise, und Yayoi hielt in der Bewegung inne.
»Ich rufe die Polizei!«
»Bitte, aber damit schaden Sie sich nur selbst.«
»Was soll das heißen?« Yayoi ließ sich auf den Stuhl zurückfallen. »Was meinen Sie damit?«
In ihrem Hirn regierte schon die Panik. Sie war nicht mehr in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, und wollte nur noch, dass dieser unheimliche Mann so schnell wie möglich aus ihrem Haus verschwand.
»Sparen Sie sich das, ich weiß alles: Sie haben Ihren Mann umgebracht.«
»Das ist eine Lüge! Was erlauben Sie sich, Sie, Sie...!«, schrie Yayoi hysterisch. »Nehmen Sie das sofort zurück!«
»Na, na, die ganze Nachbarschaft hört mit, Frau Yamamoto! In dieser Gegend sind doch die Gärten so klein. Das, was Sie hier gerade veranstalten, nennt man Überreaktion aufgrund von Schuldgefühlen, glaube ich.«
»Ich weiß absolut nicht, wovon Sie reden!« Yayoi legte ihre zitternden Hände an die Schläfen. Das heftige Zittern übertrug sich auf ihren kleinen Schädel und erschütterte ihn. Sie nahm die Hände wieder weg. Sie wusste nicht, was sie machen sollte.
Aber Satōs Worte brachten sie einstweilen zum Schweigen. Unter den Reaktionen der Nachbarschaft hatte sie in der Zeit nach dem Mord an Kenji
Weitere Kostenlose Bücher