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Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out

Titel: Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natsuo Kirino
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Gesicht.
    »Das kann ich Ihnen auch nicht sagen... Nur, dass ich sonst niemanden habe, den ich um so etwas bitten könnte.«
    Sie sollte doch eine Familie, sie sollte Freunde haben... Erstaunt betrachtete Kazuo die kleinen Fältchen um Masakos Mundwinkel. Jetzt erst wurde ihm bewusst, wie einsam sie sein musste, wenn sie jemandem wie ihm, einem Ausländer, den sie nicht einmal richtig kannte, solche wichtigen Sachen anvertraute.
    Masako wandte sich ab, wie um sich seinem Blick zu entziehen, und trat mit der Spitze ihres Turnschuhs nach Kieselsteinen. Die Steine schlugen mit trockenem Geräusch hinter Kazuo auf. Er schluckte und wiederholte dann die japanischen Worte aus ihrem letzten Satz: »Sie haben niemanden, wirklich niemanden?«
    »Nein.« Masako schüttelte den Kopf. »Ich habe niemanden, und ich weiß auch nicht, wohin. Es gibt keinen Ort, an dem ich sicher wäre und mich verstecken könnte.«
    »Heißt das, Sie vertrauen niemandem?«
    »So ist es.« Diesmal sah sie Kazuo wieder direkt in die Augen.
    »Und mir vertrauen Sie?« Nachdem er diese Frage losgeworden war, heftete Kazuo mit angehaltenem Atem die Augen auf Masako.
    Sie hielt seinem Blick stand, als sie antwortete: »Ja, ich vertraue Ihnen.« Dann drehte sie sich um und ging still auf dem inzwischen vollkommen dunklen Weg in Richtung Fabrik davon.
    »Danke!« Kazuo senkte den Kopf und presste die rechte Hand auf die linke Brust. Nicht, weil dort der Umschlag war, sondern weil dort sein Herz saß.

SIEBTES KAPITEL

    Der Ausweg

1
    Verwundert betrachtete Yayoi den Ehering am Finger ihrer rechten Hand. Ein Platinring im Allerweltsdesign.
    Sie erinnerte sich an den Tag, an dem sie ihn gekauft hatten. Es war ein Sonntag gewesen, ein warmer Tag zu Frühlingsanfang, und sie war mit Kenji ins Kaufhaus gegangen, um ihn auszusuchen. Kenji hatte die Schaukästen kurz durchgesehen und sich dann mit den Worten: »Er ist ja schließlich für ein ganzes Leben« für den teuersten Ring entschieden. Noch heute erinnerte sie sich genau an die Feierlichkeit dieses öffentlichen Akts und ihr verschämtes Glück dabei. Wo waren die Gefühle von damals geblieben, wann hatte das strahlende Paar, das sie einmal gewesen waren, seinen Glanz verloren, wann war es für immer erloschen?
    Sie hatte Kenji umgebracht. Plötzlich erfüllte ein lautloser Schrei Yayois Herz. Jetzt endlich wurde ihr die Schwere der Tat bewusst, die sie begangen hatte.
    Energisch stieß sie den Wohnzimmerstuhl zurück, auf dem sie gesessen hatte, und rannte ins Schlafzimmer. Sie stellte sich vor den großen Spiegel, schlug den Pullover hoch und betrachtete ihren nackten Bauch, um sich von der Ursache zu überzeugen, die in ihr den Wunsch zu töten geweckt hatte. Aber der blaue Fleck, der als Brandmal des Hasses auf ihrer Magengrube geprangt hatte, war mit der Zeit gelb geworden, mehr und mehr verblasst und mittlerweile spurlos verschwunden.
    Und doch hatte sie Kenji deswegen umgebracht. Sie hatte den Mann, der ihr mit den Worten »Er ist ja schließlich für ein ganzes Leben« den teuersten Ring ausgesucht hatte, einfach ermordet. Und sie war dafür nicht einmal bestraft worden. Konnte das richtig
sein? Yayoi sank in sich zusammen und blieb auf den Tatami sitzen.
    Als sie nach einer Weile den Blick wieder hob, sah Kenji von seinem Foto auf dem buddhistischen Totenaltar zu ihr herüber. Von dem Foto, das sich inzwischen mit dem Geruch der Räucherstäbchen voll gesogen hatte, die die Kinder immer für ihn anzündeten. Während sie sein im Sommer auf einem Zeltplatz aufgenommenes, lachendes Gesicht betrachtete, wurde Yayoi wütend.
    »Na, willst du dich etwa beschweren, passt dir vielleicht irgendwas nicht? Wo du ständig nur auf mir rumgehackt hast! Nach unten treten, immer auf die Schwächeren, das konntest du gut, das war dein wahres Gesicht! Nicht ein einziges Mal hast du dich um die Kinder gekümmert!«, murmelte Yayoi vor sich hin, während sie sich die Tränen aus den Augenwinkeln wischte. Wie eine Flutwelle baute sich der alte, unbändige Zorn wieder auf, schlug gegen den Kai und hatte das gerade erst aufgekeimte, zarte Pflänzchen der Reue im Nu zurück ins Meer gerissen.
    »Es war falsch, dich umzubringen, das gebe ich zu, aber glaub ja nicht, dass ich dir deshalb verziehen habe!«, wiederholte Yayoi immer wieder laut für sich selbst. Nein, sie verzieh ihm nicht. Bloß weil sie ihn ermordet hatte, musste sie ihm doch noch lange nicht verzeihen! Nie würde sie das tun, ihr Lebtag nicht! Er war

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