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Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out

Titel: Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natsuo Kirino
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schließlich der Böse gewesen, weil er sie hintergangen hatte. Er hatte sie belogen und betrogen, obwohl sie sich kein bisschen verändert hatte, er war anders geworden, er war der Bösewicht gewesen! Niemand anderer als Kenji hatte das strahlende Paar von einst, das sich zusammen Eheringe aussuchte, zerstört!
    Yayoi ging ins Wohnzimmer zurück und riss wütend die Terrassentür zum Garten auf. Ein winzig kleiner Garten, in dem ein Dreirad, eine Babyschaukel und anderes Kinderspielzeug auf engem Raum zusammengepfercht standen und den eine düstere Betonmauer vom Nachbargrundstück trennte. Yayoi zog sich den Ehering vom Finger und warf ihn mit aller Kraft weg, so weit sie konnte. Sollte er doch im Nachbargarten landen, wünschte sie sich, aber der Ring prallte in unerwartetem Winkel von der Betonmauer ab und fiel schließlich in eine Ecke des eigenen Gartens. Im Moment, als sie den Ring aus den Augen verlor, wurde Yayoi von dem Gefühl überwältigt, etwas getan zu haben, was nicht
wieder rückgängig zu machen war, und sofort breitete sich mulmige Reue in ihrer Magengegend aus.
    Im weißen Mittagslicht der Novembersonne betrachtete Yayoi den nackten Ringfinger ihrer rechten Hand. Wehmütig starrte sie auf den weißen Abdruck, der von ihrem Ehering übrig geblieben war: Sie hatte ihn in acht Jahren nicht ein einziges Mal abgezogen. Doch auch wenn sie über den Verlust trauerte, fühlte sie sich gleichzeitig befreit. Endlich war das alles überstanden und vorbei.
    Just im Moment, als sie das dachte, klingelte es an der Haustür.
    Hatte man sie womöglich gerade beobachtet? Yayoi trat mit bloßen Füßen die Stufe zum Garten hinab und stellte sich auf die Zehenspitzen, um zu sehen, wer da vor der Haustür stand. Ehrerbietig wartete dort ein relativ großer Mann im Anzug. Glücklicherweise schien er nicht zu bemerken, dass sie ihn vom Garten her beobachtete.
    Yayoi ging eilig ins Haus zurück und meldete sich an der Gegensprechanlage. Mit den Sohlen ihrer Nylonstrumpfhose, an denen feuchte, schwarze Gartenerde klebte, hatte sie dunkle Flecken auf dem Fußboden hinterlassen, aber sie kümmerte sich nicht darum.
    »Ja, wer ist da bitte?«
    »Mein Name ist Satō, ich komme aus Shinjuku und war ein Bekannter Ihres Mannes.«
    »Ah, ja?«
    »Ich war in der Nähe, und da dachte ich, ich könnte vielleicht die Gelegenheit nutzen, um für ihn ein Weihrauchstäbchen anzuzünden …«
    »Ja, wenn Sie möchten...« Es war ihr lästig, aber einen Beileidsbesuch konnte sie schlecht abschlagen. Mit Hausfrauenaugen inspizierte Yayoi das Wohnzimmer und das als Stätte für den Hausaltar dienende Schlafzimmer. Das muss so reichen, dachte sie und ging zum Eingang. Als sie die Haustür öffnete, verbeugte sich der stämmige Mann mit den kurz geschnittenen Haaren tief vor ihr.
    »Verzeihen Sie bitte, dass ich Sie so plötzlich überfalle. Ich möchte Ihnen mein herzliches Beileid aussprechen.«
    Seine Stimme klang tief, ruhig und angenehm. Während sie reflexartig seine Beileidswünsche erwiderte, beschlich Yayoi für
Sekundenbruchteile ein ungutes Gefühl. Kenji war Ende Juli gestorben. Das war schon vier Monate her. Aber da es immer noch vorkam, dass entsetzte Freunde oder Bekannte anriefen, die gerade erst von der Sache erfahren hatten, fasste sie sich wieder.
    »Vielen Dank, dass Sie sich eigens herbemüht haben.«
    Satō ließ seine Augen lange auf ihrem Gesicht ruhen, auf ihren Augen, ihrer Nase, ihrem Mund. Es lag nichts Anstößiges in seinem Blick, aber es behagte ihr nicht, wie er sie musterte, denn er tat es, als sei sie ihm schon sattsam bekannt und als müsse er seine Vorabinformationen nur noch mit dem realen Objekt abgleichen.
    Yayoi betrachtete nun ihrerseits Satōs Gesicht und wunderte sich, woher Kenji und dieser Mann sich wohl gekannt haben mochten. Denn er strahlte ein so ganz anderes Flair aus als die Menschen in Kenjis Umfeld, das hieß, als die Firmenangestellten, denen eine gewisse Unbekümmertheit und Aufrichtigkeit eigen war. Satō hingegen machte den Eindruck, als habe er sich eine aalglatte Hülle übergestülpt, um sein wahres Gesicht zu verschleiern, obwohl er mit seinem schlichten, billigen Anzug und der nichts sagenden Krawatte genau ins Bild eines Angestellten passte.
    »Dürfte ich dem Toten wohl meine Ehre erweisen?«, tat Satō seinen Willen in gewandt verhaltenem Ton kund, als hätte er ihr wachsendes Unbehagen genau gespürt.
    »Bitte.« Infolge seines sanften Drucks ließ Yayoi Satō ins Haus.

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