Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
schwarze Kostüm, das sie bei Kenjis Totenwache
angehabt hatte. Ihre Mutter hatte es ihr gekauft, weil sie nicht hatte mitansehen können, dass sie so gar nichts Passendes besaß. Auf der Begräbnisfeier hatte sie dann einen geliehenen Trauerkimono getragen.
»Genau das Richtige! In Trauerkleidung werden sie sogar Mitleid mit dir haben und uns nicht dumm kommen.«
»Aber es ist doch ein Sommerkostüm.«
»Vollkommen egal!«, donnerte Satō, und Yayoi zuckte zusammen.
Eine halbe Stunde später führte man Yayoi in dem dünnen, schwarzen Kostüm zusammen mit Satō in einen Besprechungsraum der Stadtbank-Filiale nahe dem Bahnhof Tachikawa.
»Möchten Sie wirklich die gesamte Summe von fünfzig Millionen abheben?« Der Filialleiter persönlich hatte sie empfangen und war verzweifelt darum bemüht, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Ohne ein Wort zu sagen, starrte Yayoi auf den Teppichboden zu ihren Füßen und nickte nur immer wieder mit dem Kopf. Satō hatte ihr befohlen, den Mund zu halten und allem zuzustimmen.
»Durch das plötzliche Unglück sind wir auf das Geld angewiesen, Sie verstehen«, beharrte Satō, der sich als ihr älterer Bruder vorgestellt hatte, überheblich. Die Verantwortlichen der Bank hatten dem nichts entgegenzusetzen. Auf der Suche nach irgendeiner rettenden Idee, die Kunden doch noch umzustimmen, tauschte man nur ratlose Blicke.
»Aus Gründen der Sicherheit würden wir Ihnen das Geld lieber auf das Konto eines Kreditinstituts überweisen...«
»Das ist nicht nötig. Deshalb begleite ich meine Schwester ja.«
»Ah ja. Nun gut, wie Sie wünschen.« Der Filialleiter seufzte resigniert und sah Yayoi an. Fassungslos über die Ungeheuerlichkeit dessen, was ihr widerfuhr, saß sie nur erstarrt auf ihrem Stuhl. Sie fühlte sich erbärmlich. Als ihr ein tiefes Stöhnen der Verzweiflung entfuhr, schlugen die Bankangestellten mitleidig die Augen nieder, da sie es offenkundig als Ausdruck des Kummers über den plötzlichen Tod eines nahen Verwandten deuteten. Schließlich brachte ein Angestellter das Geld. Er legte den Betrag von fünfzig Millionen Yen in bar auf den Tisch des Besuchszimmers.
»Bitte, überzeugen Sie sich.«
Ohne viel Federlesen stopfte Satō die Geldscheinbündel in die von der Bank bereitgelegten Kuverts und tat diese wiederum in die schwarze Nylontasche, die er mitgebracht hatte. »Ich danke Ihnen«, sagte er dann, griff nach Yayois Arm und stand auf. Yayoi war willenlos wie ein Roboter, ihr Körper ohne jede Kraft. Als ihr die Beine einzuknicken drohten, stützte Satō sie mit eisernem Griff von hinten ab.
»Was ist denn los mit dir, Yayoi? Nimm dich doch zusammen, gleich fängt die Totenwache an!«
Eine großartige Vorstellung! Yayoi stolperte hinter Satō her, der ihren Arm nicht losließ und sie fortzog. Endlich hatten sie das Bankgebäude verlassen. Satō stieß Yayoi von sich. Sie taumelte, bekam aber noch das Sicherheitsgeländer des Gehwegs zu fassen. Satō winkte seelenruhig ein Taxi heran und drehte sich, bevor er einstieg, noch einmal zu ihr um.
»He, du weißt Bescheid, oder?«
»Ja«, nickte Yayoi brav. Benommen sah sie zu, wie das Taxi mit Satō davonfuhr. Da entschwanden die fünfzig Millionen. Kenjis unverhofftes Geschenk. Ein kurzer, flüchtiger Traum. Ihr zukünftiger Lebensunterhalt. Das alles war für immer dahin.
Doch obwohl sie das Geld nun abschreiben konnte, war es ein größerer Schock für Yayoi, dass sie es überhaupt mit einem so Furcht erregenden Mann wie Satō zu tun bekommen hatte. Ein Wunder, dass sie noch lebte! Ein Gefühl der Erleichterung machte sich in ihr breit. Als Satō sie beim Hals gepackt hatte, war sie felsenfest davon überzeugt gewesen, ermordet zu werden.
Yayoi schaute benommen zur Bahnhofsuhr hoch. Sie fühlte sich jeder Kraft beraubt, kein Funken Energie schien ihr mehr geblieben zu sein. Es war halb drei nachmittags. Sie fror, weil sie nicht einmal einen Mantel anhatte. Während sie die nur von dem sommerlich dünnen Stoff des Trauerkostüms bedeckten Arme um sich schlang, beschloss Yayoi, Masako, von der sie sich im Streit getrennt hatte, nichts von dieser Sache zu verraten. Denn damit konnte sie sich wenigstens eine letzten Rest eigensinnigen Stolz bewahren.
Aber wohin sollte sie jetzt gehen, was sollte sie machen, ohne Geld, ohne Arbeit, ohne die anderen und ohne Masako? Yayoi, die
jeden Halt, jeden Wegweiser im Leben verloren hatte, fand darauf keine Antwort, und so irrte sie rat- und ziellos vor
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