Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
die kraftlosen Beine des Mannes, der einmal Yayois Ehemann gewesen war, bei den Knöcheln und hob ihn an. Obwohl nicht grö
ßer als sie selbst – ein Meter achtundsechzig ungefähr -, war Kenji schwer, offenbar fiel der männliche Knochenbau ins Gewicht. Zu zweit schafften sie es gerade, ihn vor die Tür zu tragen. Sein erschlaffter Gesichtsausdruck und der lang gestreckte Hals hätten genauso gut auf einen Sturzbetrunkenen schließen lassen, den zwei Frauen in die Mitte genommen hatten. Der Gürtel, der ihm um den Hals hing, schleifte über dem Boden. Masako sah wortlos zu, wie Yayoi ihn abnahm und sich um die Hüfte band.
»Ist auch nichts von ihm im Haus zurückgeblieben, ein Kleidungsstück oder sonst irgendwas?«
»Nein, er hatte heute nichts dabei, und an Kleidung trug er nur das, was er jetzt anhat.«
Als sie Kenji mit geknickten Gliedmaßen im Kofferraum verstaut hatten, sagte Masako zu Yayoi: »Wir dürfen auf keinen Fall auf der Arbeit fehlen. Du musst dir schließlich ein Alibi verschaffen. Deshalb lassen wir ihn am besten die Nacht über auf dem Parkplatz, klar? In der Fabrik können wir überlegen, was wir mit ihm machen.«
»Verstehe. Ich fahre also am besten wie immer mit dem Fahrrad hin, oder?«
»Natürlich. Und denk dran: Tu so, als ob nichts wäre!«
»Dann darf ich dir also Kenji jetzt überlassen, nicht wahr, Masako-san?« Nachdem die Leiche aus dem Haus war, wurde Yayoi plötzlich förmlich. Auf ihrem Gesicht lag sogar so etwas wie ein Ausdruck der Befreiung, als hätte sie eine schwere Arbeit zu Ende gebracht.
Glaubte sie denn allen Ernstes daran, dass Kenji einfach so vom Erdboden verschwunden war? Yayoi war nicht wiederzuerkennen, und allmählich bereitete Masako diese Verwandlung Unbehagen. Sie stieg in den Wagen ein, legte den Sicherheitsgurt an und flüsterte eindringlich: »Und hör auf, über beide Ohren zu strahlen, sonst fliegt alles auf!«
»Sehe ich denn etwa so aus?« Yayoi legte eine Hand auf den Mund, als müsste sie ihr Entsetzen unterdrücken.
Masako sah ihr vom Fahrersitz aus fest in die großen Augen.
»Schon, um ehrlich zu sein.«
»Noch etwas, Masako-san: Was soll ich denn jetzt wegen der
Katze unternehmen? Die Kinder werden einen Aufstand machen! Wie schrecklich, was mach ich denn bloß!«
»Sie wird schon wieder auftauchen.«
Aber Yayoi schüttelte mit dem Ausdruck felsenfester Überzeugung den Kopf und wiederholte: »Wie schrecklich, was mach ich denn bloß!«
Masako fuhr los und ließ Yayois Haus schnell hinter sich. Nach einer Weile bereitete ihr Kenjis Leiche im Kofferraum plötzlich Sorgen. Was, wenn sie zufällig in eine Polizeikontrolle geriet oder ihr von hinten jemand aufführe? Dann wäre alles aus, sie wäre verloren! Diese Gedanken hätten sie eigentlich dazu veranlassen müssen, äußerst vorsichtig zu fahren, doch Masako beschleunigte und brauste durch die nächtlichen Straßen, als wäre jemand hinter ihr her. Tief in ihrem Herzen wusste sie, dass es der reglose Körper in ihrem Kofferraum war, der sie verfolgte. Ruhig Blut, versuchte sie sich einzuschärfen.
Endlich erreichte sie den Parkplatz. Kunikos Golf stand wie immer schief auf ihrem angestammten Platz. Sie war wohl schon vorgegangen, um nicht zu spät zu kommen. Masako stieg aus, zündete sich eine Zigarette an und sah sich um. Aber an diesem Abend stieg ihr ausnahmsweise weder der Geruch nach Frittiertem noch der Gestank der Autoabgase in die Nase. Vielleicht war sie einfach zu aufgeregt dazu.
Sie ging ums Auto herum nach hinten und starrte auf den Kofferraum. Dort hinein hatte sie eine Leiche gelegt, die sie morgen beseitigen würde. Sie war dabei, Dinge zu tun, die sie sich bislang nicht einmal hatte vorstellen können. Der weitere Verlauf ihres Lebens, den sie bis zu einem gewissen Grad zu kennen geglaubt hatte, war damit wieder völlig offen. Und mit diesem Gedanken kam ihr Yayois Befreiungsgefühl nicht mehr ganz so unverständlich vor.
Masako überprüfte noch einmal, ob der Kofferraum auch wirklich fest verschlossen war, und machte sich mit der Zigarette in der Hand auf den Weg über den dunklen Pfad zur Fabrik. Ihr blieb nicht mehr viel Zeit. Gerade heute musste alles so sein wie immer, sie durfte unter keinen Umständen auffallen.
Als sie eiligen Schrittes die stillgelegte Fabrik passieren wollte,
kam plötzlich aus dem Dunkel links von ihr ein Mann mit einer Kappe auf dem Kopf auf sie zugeschossen und packte sie am Arm. Masako erschrak zu Tode. Das Gerede um den
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