Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
schliefen, ihre eigene Last trugen und sich einsam mit der Wirklichkeit herumschlugen.
Yoshiki hatte sich mit keinem Wort dazu geäußert, dass sie sich, weil sie keine andere Anstellung finden konnte, letztendlich entschlossen hatte, als Teilzeitkraft in einer Lunchpaket-Fabrik Nachtschicht zu machen. Nicht, weil ihm der Mut dazu gefehlt hätte; er hatte es nur aufgegeben, sich mit so etwas Sinnlosem wie Kämpfen abzugeben, und stattdessen begonnen, sich in einen Kokon einzuspinnen, das fühlte sie. In diesen Kokon ließ er niemanden hinein, auch Masako nicht. Seine Hände, die ihren Körper schon lange nicht mehr berührt hatten, waren unermüdlich damit beschäftigt, an dieser Festung zu bauen. Die Verweigerungshaltung ihres Mannes,
die nicht einmal vor seiner Frau und seinem Sohn Halt machte, weil auch sie für ihn nur schnöde Außenwelt waren, verletzte Masako.
Sie war ja nicht einmal in der Lage, ihre eigene Familie in Ordnung zu bringen, was mischte sie sich da in die Angelegenheiten von Yayoi ein! Mit sich selbst hadernd, öffnete Masako die dünne Haustür und trat hinaus. Die Luft fühlte sich bei weitem frischer an als gestern Nacht, und sie sah zum Himmel auf, wo ein roter, wolkenverhangener Mond schwebte. Masako hielt das für ein böses Omen und wandte die Augen ab.
Der kleine Vorhof zu ihrem Haus hatte mit Mühe und Not für den engen Parkplatz gereicht, auf dem ihr Corolla jetzt stand. Masako zwängte sich geschickt durch den Spalt der Fahrertür, die nicht ganz zu öffnen war, zündete und fuhr sofort los. Nachts hallte das Motorengeräusch besonders laut durch die abgelegene, von Feldern durchsetzte Wohngegend. Von den Leuten hier befürchtete sie weniger Beschwerden über den Lärm als das inquisitorische Aushorchen, weshalb sie denn seit geraumer Zeit jede Nacht zu dieser Stunde noch wegführe.
Yayois Haus lag ganz in der Nähe der Lunchpaket-Fabrik in Musashi-Murayama. Plötzlich fiel ihr die Verabredung mit Kuniko ein. Sie hatten doch ausgemacht, jeden Abend um halb zwölf auf dem Parkplatz aufeinander zu warten, um dann zusammen zur Fabrik zu gehen. Heute würde sie sich wahrscheinlich verspäten. Sie wollte hoffen, dass die argwöhnische, mit sicherem Instinkt ausgestattete Kuniko keinen Wind von der Sache bekam.
Aber es hatte keinen Zweck, sich jetzt schon über alles Mögliche Sorgen zu machen – vielleicht hatten Leute aus der Nachbarschaft längst mitbekommen, was sich im Hause Yamamoto abgespielt hatte, vielleicht war Yayoi auch mittlerweile selbst zur Polizei gerannt. Außerdem war immer noch denkbar, dass sie sich das alles nur zusammengesponnen hatte. Ungestüm trat Masako aufs Gaspedal.
Der süße Duft der blühenden Gardenienhecke, an der sie gerade vorüberfuhr, drang kurz durch das offene Wagenfenster herein und war im nächsten Augenblick schon wieder in die Dunkelheit entschwunden. Mit ihm verflog plötzlich ihr Mitleid mit Yayoi, und für einen Moment war Masako die ganze Sache sogar
lästig. Doch auch dieser Gedanke verflüchtigte sich schnell, und sie beschloss, Yayoi ins Gesicht zu sehen und dann zu entscheiden, ob sie ihr helfen wollte oder nicht.
Vor der Betonmauer an der Ecke der kleinen Straße, in derYayoi wohnte, sah sie eine weiße Gestalt stehen. Eine Frau. Schnell trat Masako auf die Bremse.
»Masako-san!«, hörte sie Yayoi verzweifelt rufen. Sie trug ein weißes Polo-Hemd und eine viel zu weite Jeans. Das weiße Hemd hob sich von der Dunkelheit der Nacht ab und verlieh ihr einen solchen Ausdruck von Hilflosigkeit, dass Masako schlucken musste.
»Was machst du denn hier!«
»Die Katze ist weggelaufen.« Mit Tränen in den Augen stand Yayoi neben Masakos Auto. »Die Kinder lieben sie doch so sehr, aber jetzt hat sie Angst vor mir, weil sie alles mitangesehen hat, und ist weggelaufen.«
Masako schwieg und legte nur den Zeigefinger an die Lippen. Yayoi schien endlich zu begreifen und sah sich in der Gegend um, doch ihre Hand auf dem heruntergekurbelten Wagenfenster zitterte leicht. Als Masako das sah, fiel die Entscheidung, Yayoi aus der Klemme zu helfen.
Langsam fuhr sie wieder an und schaute sich durch das Autofenster die Häuserreihen der Nachbarschaft an. Es war nach elf an einem Werktag, und bei den meisten Häusern drang nur noch aus einem Fenster, vermutlich dem Schlafzimmer, schwaches Licht – alles schien still und ruhig. Heute Nacht war es relativ kühl, und so hatten viele Leute die Klimaanlage ausgestellt und die Fenster geöffnet. Sie
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