Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
durften also möglichst keinen Lärm machen. Yayoi trug Sandalen, und Masako hörte besorgt, wie sie mit klackernden Schritten näher kam.
Das Haus der Yamamotos lag ganz am Ende der kleinen Straße. Es war eines jener einstöckigen Fertighäuser, wie sie vor etwa fünfzehn Jahren erstmals angeboten worden waren: mit wenig Platz und schlechtem Zuschnitt. Außerdem war die Miete hoch, und das Ehepaar Yamamoto hatte offenbar gespart, um endlich von hier wegziehen zu können. Das war nun alles umsonst gewesen. Menschen begingen Dummheiten, wenn sie in Versuchung
geführt wurden. Welche Versuchung hatte Yayoi heimgesucht? Oder war es die Wut auf ihren Mann gewesen, der sie hintergangen hatte, weil er durch etwas in Versuchung geführt worden war? Mit diesen Gedanken stieg Masako lautlos aus dem Wagen und sah ihrer Freundin entgegen, die auf sie zugelaufen kam.
»Erschrick jetzt nicht, hörst du?« Plötzlich verhalten und unsicher, öffnete Yayoi die Haustür. Doch dann begriff Masako, dass sich ihre Worte nicht auf das bezogen, was sie getan hatte, sondern auf den Anblick, der sich gleich hinter der Tür bot: Kenji lag dort, Gesicht und Körper leblos erschlafft, den braunen Ledergürtel noch um den Hals geschlungen, die Zunge schaute zwischen den Lippen hervor, und seine Augen standen halb offen. Er war tot. Das Blut hatte sich nicht im Kopf gestaut, im Gegenteil, sein Gesicht war wachsbleich.
Masako hatte sich auf einen Schock gefasst gemacht, doch als sie dann wirklich vor der Leiche stand, spürte sie nur eine erstaunliche Kälte und Gelassenheit. Vielleicht, weil sie Kenji nicht persönlich gekannt hatte, blieb sein toter Körper für sie nichts weiter als ein regloser Mensch mit einem komisch schlaffen Gesicht. Nur an die Tatsache, dass Yayoi, die sie für das Musterbeispiel einer guten Ehefrau und liebevollen Mutter gehalten hatte, eine Mörderin war, konnte sie sich nicht so schnell gewöhnen.
»Er ist noch warm.« Yayoi berührte Kenjis Schienbein, das die hochgerutschte Hose freigab. Wie um sich von seinem Tod zu überzeugen, fuhr ihre Hand immer wieder daran auf und ab.
»Es ist also wirklich wahr«, sagte Masako mit belegter Stimme, während sie Yayois Hand beobachtete.
»Hast du etwa gedacht, ich würde lügen? Du weißt doch, dass ich das nicht kann!« Ganz entgegen Masakos gedrückter Stimmung lächelte Yayoi. Vielleicht hatte sie aber auch nur die Mundwinkel verzogen.
»Und, was willst du jetzt machen? Willst du dich wirklich nicht stellen?«
»Nein.« Yayoi schüttelte entschieden den Kopf. »Vielleicht bin ich verrückt geworden, aber ich hab überhaupt nicht das Gefühl, etwas Böses getan zu haben. Ich finde es richtig, dass er tot ist, es geschieht ihm recht. Deshalb habe ich beschlossen zu denken,
dass er nicht nach Hause gekommen, sondern irgendwohin verschwunden ist.«
Masako dachte nach und warf dabei einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war schon fast zwanzig nach elf. Egal, wie spät es war – bis viertel vor zwölf mussten sie in der Fabrik sein. »Es gibt viele, die einfach so verschwinden und nicht mehr wiederkommen. Aber hat auch wirklich niemand gesehen, wie dein Mann nach Hause gekommen ist?«
»Ich glaube nicht. Auf der Strecke vom Bahnhof bis hierher sind ja kaum Leute unterwegs.«
»Wenn er nur auf dem Heimweg irgendwen angerufen hat, ist es schon aus!«
»Dann kann ich trotzdem noch behaupten, dass er nicht nach Hause gekommen ist«, beharrte Yayoi.
»Ja? Bist du wirklich in der Lage, die Unwissende zu spielen und dir nichts anmerken zu lassen, auch wenn die Polizei dich ausfragt?«
Yayoi sah sie mit großen Augen an und nickte: »Ja. Du wirst schon sehen, ich werd’s dir beweisen! Deshalb...«
Ihrem niedlichen Gesicht sah man die vierunddreißig nicht an. Bei solch einem entzückenden Äußeren würde sie vielleicht wirklich niemand verdächtigen. Aber der Einsatz war zu hoch, um darauf zu wetten. Masako blieb vorsichtig: »Deshalb was? Was schlägst du vor?«
»Könnte ich ihn erst mal in deinem Kofferraum verstecken? Dann …«
»Dann was?«
»Morgen schaffe ich ihn dann schon weg.«
Es gab offenbar keine andere Lösung. Wohl oder übel stimmte Masako zu. »Okay. Ich helfe dir, ihn rauszutragen, wir haben wenig Zeit.«
»Danke. Ich werde mich irgendwann erkenntlich zeigen.«
»Geld brauche ich nicht.«
»Aber wieso hilfst du mir dann?«, fragte Yayoi, während sie ihre Arme unter Kenjis Achseln schob.
»Tja – das überleg ich mir später.« Masako packte
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