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Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out

Titel: Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natsuo Kirino
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Grabscher hatte sie vollkommen vergessen.
    Alles geschah so plötzlich: Bevor sie noch schreien konnte, versuchte der Mann sie schon mit aller Kraft unter das baufällige Vordach der Fabrikruine am Wegesrand zu ziehen.
    »Lassen Sie mich los!«, brachte sie endlich hervor. Ihre Stimme schien die Dunkelheit zu zerreißen, so schrill klang sie. Hektisch umfasste der Mann sie von rechts, hielt ihr den Mund zu und versuchte, sie in das Dickicht aus Wiesengras zu stoßen. Doch Masako war groß, und so konnte sie seinen Arm mit der Schulter beiseite stoßen, so dass die Hand sich ein wenig von ihrem Mund löste. Sie nutzte die Gelegenheit, um mit der Tasche um sich zu schlagen, und konnte so verhindern, dass sich seine Hand erneut auf ihren Mund legte. Ihren linken Arm jedoch hatte er nach wie vor fest im Griff, er konnte sie jeden Augenblick umstoßen. Der Mann war nicht so groß, wie Kuniko erzählt hatte, doch von seinem kräftigen, muskulösen Körper ging ein würziger Geruch aus.
    »Was wollen Sie denn von mir! Es gibt doch hier genügend jüngere Frauen!«, brüllte sie und spürte ein leichtes Zögern in der Hand, die ihren linken Arm umklammert hielt. Masako war sich nun sicher, dass es sich um einen Mann aus der Fabrik handelte, der sie kannte. Sie versuchte, ihn von ihrem Arm abzuschütteln und zum Weg zurückzulaufen. Schnell hatte der Mann Masako umrundet und trieb sie weiter in das verwilderte Areal hinein. Irgendwo hier musste die baufällige Kanalanlage sein, die einen fauligen Fluss abdeckte. Sie wusste, dass die Betondecke hier und da eingebrochen war. Auf keinen Fall durfte sie in eines der Löcher fallen. Hektisch suchte sie im Gestrüpp nach festem Halt unter den Füßen, während sie gleichzeitig immer wieder verzweifelt einen Blick in das Gesicht des Mannes riskierte. Seine Züge konnte sie nicht erkennen, aber im trüben Schein des roten Mondes sah sie flüchtig seine schwarzen Augen unter der Kappe.
    »Sie sind Miyamori, nicht?«, riet sie aufs Geratewohl, doch der Mann reagierte augenscheinlich entsetzt.
    »Sie heißen doch Kazuo Miyamori, nicht wahr?«, beharrte Masako.
»Ich werd’s niemandem verraten, wenn Sie mich jetzt loslassen. Heute will ich nicht zu spät kommen. Wir können uns ein anderes Mal treffen. Wirklich, das meine ich ernst.«
    Bei Masakos unverhofften Worten hatte der Mann den Atem angehalten und schien nun nachzudenken. Sie wiederholte es noch einmal: »Ich bitte Sie, lassen Sie mich heute gehen. Wir treffen uns ein anderes Mal, nur wir beide!«
    Da antwortete der Mann auf Japanisch mit deutlichem Akzent: »Wirklich? Wann?«
    Kein Zweifel, von der Stimme her ist es tatsächlich Miyamori, dachte Masako. »Morgen Abend, hier.«
    »Um wie viel Uhr?«
    »Um neun.«
    Anstatt zu antworten, drückte der Mann Masako plötzlich fest an sich und presste seine Lippen auf ihren Mund. Sein Körper war wie ein harter Fels, und er hielt sie so fest, dass sie fast keine Luft mehr bekam. Sie zappelte und wand sich, beide stolperten, und als sie zusammen gegen das verrostete Rolltor vor der Einfahrt zur stillgelegten Fabrik schlugen, schepperte es laut. Bei dem ohrenbetäubenden Lärm schrak der Mann zusammen, hielt inne und sah sich ängstlich um. Masako ergriff die Gelegenheit, um ihn zurückzustoßen, hob die Tasche vom Boden auf und rannte davon. Sie trat auf eine herumliegende Aluminiumdose, die sie zum Straucheln brachte. Wütend fluchte sie: »Such dir gefälligst eine Jüngere für deine Spielchen!«
    Der Mann stand benommen da und ließ die Arme hängen. Masako wischte sich seinen Speichel mit dem Handrücken von den Lippen und bahnte sich ihren Weg durch das hohe Gras.
    »Ich warte morgen hier«, hörte sie hinter sich den Mann noch leise und flehentlich sagen, als sie mit dem Fuß nach der Betondecke über dem Abwasserkanal tastete. Sie überquerte ihn, lief zum Weg und rannte verzweifelt los. Ausgerechnet heute musste sie überfallen werden, wo sie immer so aufgepasst hatte! Der Ärger über die eigene Unvorsichtigkeit mischte sich mit Zorn, und sie fühlte seit langem wieder pechschwarze Wut in sich aufsteigen. Also war Kazuo Miyamori der Grabscher! Im Nachhinein ärgerte sie sich sogar darüber, dass sie ihn gestern Nacht noch flüchtig gegrüßt hatte.

    Während sie sich die zerzausten Haare glatt strich, rannte sie die Treppe in den ersten Stock der Lunchpaket-Fabrik hinauf. Komada, der Hygiene-Kontrolleur, wollte gerade seinen Posten verlassen.
    »Guten Morgen!«, brachte sie

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