Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
möglich, dass sogar die Erinnerung daran, wie es sich angefühlt hatte, Kenji mit der Kraft dieser beiden Hände zu erwürgen, mehr und mehr verblasste, obwohl es doch kaum drei Tage her war?
Das Gesicht immer noch abgewandt, zog Yayoi rasch die selbst genähten Baumwollvorhänge zu, um die Sonne abzuhalten. Der dunkelblaue Stoff – ein Rest, der übrig geblieben war, als sie den
Kindern Lunchbox-Beutel genäht hatte – versperrte dem Licht sofort den Weg und machte die Küche düster.Yayoi blieb eine Weile wie benommen stehen und hielt sich die Augen zu, die sich nicht so schnell an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnen konnten.
Die Unruhe, von der sie sich mit den Kindern und der Hausarbeit hatte ablenken wollen, stieg in ihr hoch wie tausend kleine Luftbläschen vom Grunde eines Sumpfs und sprengte ihr fast das Herz.
Aber es war nicht der Mord an Kenji, der sie so beklommen machte. Die neuerliche Wurzel ihrer Unruhe war Kuniko.
Kuniko war gestern Nachmittag urplötzlich vorbeigekommen, ohne auch nur vorher anzurufen.
»Hallo, ist jemand zu Hause?«
Durch die Gegensprechanlage hatte Yayoi die Stimme einer Frau gehört und die Haustür geöffnet: Vor ihr stand Kuniko, groß herausgeputzt in einem weißen, ärmellosen Minikleid, wie es gerade Mode war, und weißen Pantoletten. Aber die Sachen standen ihr nicht, sie war zu dick und zu blass dafür.
»Ach, du bist es!« Yayoi war so überrumpelt von dem unerwarteten Besuch, dass sie nicht wusste, ob sie sie hereinlassen sollte oder besser nicht. Es war früher Nachmittag, die Kinder hielten im Hort gerade ihren Mittagsschlaf.
»Na, krank siehst du ja nicht gerade aus!« Kuniko schaute sie abfällig an. Ihrem Tonfall war ein deutliches Überlegenheitsgefühl zu entnehmen, als wollte sie sagen: Bemüh dich nicht, ich weiß genau Bescheid über das, was du getan hast! Sofort regte sich Abwehr in Yayoi. In ihrem Inneren hallte wie aus einem tiefen Brunnen eine Stimme zu ihr herauf: Unerträglich, diese Miss Piggy in Weiß! Da wird einem ja schon vom Hinschauen übel!
»Es geht schon irgendwie«, erwiderte Yayoi irritiert. »Was führt dich zu mir?«
»Nennen wir es doch Krankenbesuch – du bist lange nicht in der Fabrik gewesen, Yamamoto-san!«
»Ja, äh, danke.« Was wollte sie von ihr, wieso war sie hier? Kuniko würde ihr doch nie im Leben einen Krankenbesuch abstatten. Mit wachsendem Misstrauen starrte Yayoi in Kunikos eingefallene
Schweinsäuglein. Aber sie konnte darin beim besten Willen keinen bestimmten Ausdruck entdecken, der Lidstrich war zu dick.
Ohne sich umYayois Zögern zu kümmern, riss Kuniko die Sperrholztür an sich und sagte: »Darf ich hereinkommen?«
Widerwillig trat Yayoi von der Tür zurück und ließ Kuniko herein. Die sah sich um und fragte mit gedämpfter Stimme: »Sag mal, wo hast du ihn denn abgemurkst?«
»Wie?«, gab Yayoi unwillkürlich zurück, und Kuniko starrte sie an.
»Ich hab dich gefragt, wo du ihn kaltgemacht hast!« In der Fabrik hatte sie immer die Jüngere gespielt, sie höflich angeredet und nie ihre Zurückhaltung verloren. Wer war bloß dieses Weib mit dem unverschämten Grinsen, das da vor ihr stand? Yayoi wurde nervös, ihre Handflächen klebrig vor Schweiß.
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Jetzt spiel mir nicht die Unschuld vom Lande!« Kuniko schnaufte verächtlich. »Ich musste schließlich mit diesen beiden Händen das widerliche Fleisch deines Göttergatten in Müllbeutel verpacken und wegschmeißen – ich weiß schon, wovon ich rede!«
Yayoi spürte, wie ihr die Kräfte schwanden. Das war alles nur Masakos Schuld, warum hatte sie dieses Weib auch zur Komplizin machen müssen?
Kuniko schleuderte die Pantoletten von den Füßen und stieg ohne zu fragen den Absatz zum Wohnbereich hinauf. Ihre Schritte schmatzten, als klebten die verschwitzten Fußsohlen an den Holzbohlen fest. »Also: Wo hast du ihn umgebracht? Man sieht doch ab und zu diese Fotos vom Tatort. Es heißt ja, die Geister der Toten würden gerne an diesen Stellen herumspuken«, sagte Kuniko, ohne zu ahnen, dass sie genau auf dem Platz stand, wo Kenji sein Leben ausgehaucht hatte.
Du kommst keinen Schritt weiter in mein Haus, dachte Yayoi und stellte sich der viel stämmigeren Kuniko in den Weg: »Was willst du? Du bist doch nicht gekommen, um mich das zu fragen!«
»Puh, ist das heiß hier. Hast du keine Klimaanlage?« Kuniko schob Yayoi einfach beiseite und trat in das enge Wohnzimmer, wo die Klimaanlage
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