Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
hab ich sogar Schulden machen müssen!«
»Ach, danke, du rettest mich!« Kazuë steckte das Geld sorgsam in die Tasche und stand auf, als wäre der Zweck ihres Besuchs damit erledigt.
»Tja, dann werde ich mir jetzt eine Arbeit suchen gehen.«
»Wo wohnst du denn eigentlich?«
»Ziemlich weit von hier, in Minami-Senjū. Hab ganz schön viel Fahrgeld blechen müssen, um hierher zu kommen«, sagte Kazuë, während sie schon im Eingang stand und sich die billigen Sandalen mit dicken Korksohlen anzog.
»Und der Junge?«
»Kannst du nicht so lange auf ihn aufpassen, Mutter?«
»Moment mal, wie stellst du dir das eigentlich vor?«
»Och, bitte. Ich komme ihn auch sofort wieder abholen«, sagte
sie leichthin, als würde sie ein Gepäckstück bei ihr abstellen, und hatte schon den Türknauf in der Hand. Das verblüffte Kind begriff, dass es zurückgelassen werden sollte, und schrie los.
»Issey, bleib schön bei Oma und sei brav, ja? Mama kommt bald wieder zurück.«
Yoshië konnte nichts mehr sagen. Stumm schaute sie ihrer Tochter hinterher, als diese eilig durch die Tür verschwand. Sie war nicht einmal überrascht, denn sie hatte schon mit so etwas gerechnet. An Kazuës Rücken entdeckte sie nicht die Spur eines schlechten Gewissens, ihr Kind zurückzulassen, stattdessen strotzte ihre Haltung nur so vor befreiter Erleichterung. Yoshië hätte sich liebend gerne genauso verhalten. Liebend gerne hätte sie alle Last, alles Unliebsame, allen Ärger von sich geworfen und mitsamt diesem heruntergekommenen Haus hinter sich gelassen. Wie benommen vor Neid auf Kazuë, starrte Yoshië vor sich hin.
Das Kind stand da, ließ beide Arme sinken, sein Spielzeugauto auf den Boden fallen und schrie: »Mama, Mama!«
»Komm mal her, Oma nimmt dich auf den Arm.«
Aber das Kind riss sich mit unvermuteter Kraft von Yoshië los, warf sich auf den Bauch und weinte bitterlich. Aus dem hinteren Zimmer war immer noch das kraftlose Jammern der Schwiegermutter zu hören.
Todmüde sank Yoshië zu Boden und legte sich mitten in die Unordnung auf den Tatami schlafen; sie war mit ihrer Kraft am Ende. Mit geschlossenen Augen hörte sie eine Weile still den beiden Weinenden zu. Das Kind beruhigte sich als Erstes. Vor sich hin murmelnd, begann es bald wieder, mit seinen Autos zu spielen. Offenbar war es daran gewöhnt, bei fremden Leuten zurückgelassen zu werden. Doch auch das war für Yoshië kein Grund, Mitleid mit ihrem Enkel zu haben.
Mitleid hatte sie mit sich selbst. Tränen liefen ihr die Wangen hinunter. Was sie betrübte, war der Gedanke, auf welch erbärmliche Weise sie das schöne Geld des armen Kenji, der von seiner Frau umgebracht und von Masako und ihr selbst zerstückelt worden war, zum Fenster hinausgeworfen hatte.
Sie hatte eine Grenze überschritten. Ob Yayoi wohl ähnlich zumute gewesen war, als sie ihren Mann ermordet hatte?
Als Yoshië am selben Abend, nachdem sie das Kind der meuternden Miki anvertraut hatte, zur Arbeit in die Fabrik kam, wartete Masako schon auf sie.
Sie waren am Rande des Aufenthaltsraums stehen geblieben und schauten sich lange schweigend ins Gesicht. Masako schien längst jedes Gefühl des Aufgewühltseins überwunden zu haben, ihre Miene wirkte grimmiger denn je. Vielleicht ist das ihr wahres Gesicht, dachte Yoshië eingeschüchtert, als sie sie betrachtete. Wie wohl ihr eigenes Gesicht in Masakos Augen wirken mochte? Yoshië hätte das zu gern gewusst.
»Wie fühlst du dich, Meisterin?«, begann Masako das Gespräch. Ihre Miene war kühl, aber in ihrer Stimme lag ein sanfter Ton.
»Furchtbar!« Sie brachte es einfach nicht fertig, ihr zu erzählen, dass ihre spurlos verschwundene Tochter plötzlich wieder aufgetaucht war, ihr ein Kind aufs Auge gedrückt und Kenjis Geld mitgenommen hatte.
»Hast du geschlafen?« Masakos Fragen waren wie immer knapp und präzise. Yoshië nickte, obwohl sie fast kein Auge hatte zumachen können.
»Was hast du mit dem Müll gemacht?«
»Alles in Ordnung, ich hab die Beutel auf dem Weg hierher an verschiedenen Sammelplätzen entsorgt.«
»Danke. Ich wusste, dass du das zuverlässig erledigen würdest, Meisterin. Sorgen mache ich mir nur wegen Kuniko.«
»Mhm.«
Sie sahen sich nach ihr um. Es war kurz vor zwölf, höchste Zeit, aber Kuniko war nicht zur Arbeit erschienen.
»Sie ist nicht da.«
»Vielleicht schläft sie ihren Schock aus«, mutmaßte Yoshië, aber Masako schnalzte leise mit der Zunge.
»Ob ich nicht besser bei ihr vorbeifahre, um
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