Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
Schrecksekunden fing die Schwiegermutter laut zu weinen an, doch es kamen ihr nur einige wenige Tränen. Sie jammerte und schrie aus Leibeskräften, dazwischen murmelte sie wie ein endloses Stoßgebet: »Endlich zeigst du dein wahres Gesicht. Du bist wie der Teufel, eine teuflische Hexe bist du! Machst ein braves Gesicht, aber innen drin, da bist du bösartig und schlecht! Mach nur so weiter, ja, verkauf nur deine Seele an den Teufel, du wirst schon sehen, was du davon hast!«
Die alte Hexe musste gerade reden! Yoshië, deren Groll sich noch nicht wieder beruhigt hatte, stand wie versteinert da und starrte auf das verblasste Wickenmuster des Sommerfutons. Nach und nach legten sich die Wellen im Ozean ihrer Gefühle, und es befiel sie eine fast schmerzliche Reue.
Was hatte sie da bloß gesagt! Zu welchen Ungeheuerlichkeiten hatte sie sich hinreißen lassen! Ob sie sich denn so verändert hatte? Das kam alles nur, weil Masako sie in diese Drecksarbeit hineingezogen hatte. Masako war schuld. Nein, Yayoi, die ihren Mann umgebracht hatte. Nein, nein, nein, sie selbst, die mitgemacht
hatte, weil sie Geld wollte. Genau das war die Quelle allen Übels: dass sie kein Geld hatte.
Kazuë, die die ganze Zeit schweigend am Esstischchen gesessen hatte, sagte auf einmal: »Na, na, nun beruhig dich mal wieder, Brüllen hilft dir auch nicht weiter.«
»Ja, da hast du Recht.« Mit diesen Worten schlich Yoshië kraftlos ins Wohnzimmer zurück. Die Schwiegermutter weinte immer noch vor sich hin.
Wie um den Streit zu schlichten, sagte Kazuë: »Ich hab ihr eben noch die Windel gewechselt, Mutter.«
»Ach so, ja. Danke.« Mutlos und erschöpft setzte Yoshië sich vor das Tischchen. Um sie herum lagen lauter kleine Spielzeugautos, die der Junge mitgebracht hatte, so dass sie nicht wusste, wo sie die Füße lassen sollte. Unwirsch fegte Yoshië einen detailgetreu nachgebauten Streifenwagen und ein Feuerwehrauto unter den Tisch. Der Junge merkte nichts davon, weil er zum Spielen einfach in Mikis Zimmer gelaufen war.
»Hast du denn noch nicht bei der Stadt nachgefragt, ob sie dir keine Pfleger schicken können? Das soll es jetzt geben, für einige Stunden in der Woche.«
»Hab ich schon. Aber sie kommen nur drei Stunden in der Woche, und das reicht gerade mal zum Einkaufen.«
»Ach so.«
Yoshië, die noch kein Auge zugetan hatte, drehte ihren pochenden Schädel hin und her. Dann sprach sie an, was sie schon die ganze Zeit beunruhigte: »Nun, warum bist du heute hergekommen?«
»Tja, also...« Kazuë fuhr sich unruhig mit der Zunge über die Lippen. Yoshië erinnerte sich daran, dass das immer schon ihre Angewohnheit gewesen war, wenn sie log. »Er arbeitet jetzt in ōsaka. Deshalb möchte ich nun auch gern arbeiten gehen, und da hab ich mir überlegt, ob du mir nicht ein bisschen Startkapital vorstrecken könntest...«
»Aber du weißt doch, dass ich kein Geld habe. Wenn er nach Ōsaka gegangen ist, hättest du doch mitgehen können. Ein Kind muss bei beiden Eltern aufwachsen.«
»Aber ich weiß doch nicht, wo er hin ist!«
Yoshië saß mit aufgesperrtem Mund da. Im Klartext hieß das
also, dass der Kerl sie mit dem Jungen sitzen gelassen hatte. Was sollte sie nur machen, wenn jetzt auch noch ihre älteste Tochter mitsamt Kind in dieses enge Haus einfiele? Yoshië wurde nervös.
»Bring ihn doch in einen Kinderhort, dann kannst du arbeiten gehen.«
»Das will ich ja, deshalb brauche ich etwas Geld.« Kazuë streckte die Hand aus. »Bitte, leih mir doch ein bisschen! Du hast doch sicher ein wenig gespart. Als ich eben mit Oma geredet habe, hat sie mir erzählt, dass sie das Haus abreißen und neue Apartments bauen wollen. Dann könnten wir doch hier einziehen und mit euch zusammenwohnen.«
»Und woher soll ich bitte das Geld für den Umzug nehmen?«
»Ach, hör doch auf!«, schrie Kazuë ungehalten. »Du hast die Sozialhilfe und den Lohn von der Schicht. Miki schickst du jobben, und Pflegegeld kriegst du auch noch. Ich bitte dich, im Moment hab ich nicht mal genug Geld, um Issey einen Hamburger zu kaufen!«, flehte sie mit Tränen in den Augen. Das Kind kam mit kleinen, unsicheren Schritten herangetrippelt und schaute verwundert in das weinerliche Gesicht seiner Mutter.
Yoshië griff in die Hosentasche und zog das Geld heraus, das Kenji bei sich gehabt hatte. Insgesamt waren es fast achtundzwanzigtausend Yen.
»Hier, nimm das. Damit musst du dich begnügen. Es ist alles, was ich im Moment besitze. Für Mikis Klassenfahrt
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