Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
»Wenn das so ist, kannst du mir ja ruhig fünfhunderttausend statt hunderttausend geben!«
»…ja.« Was hatte sie ihr entgegenzusetzen? Yayoi mußte es wohl oder übel schlucken. »Es wird aber eine Weile dauern, bis ich so viel Geld beschaffen kann.«
»Wie lange ungefähr?«
»Ich muss erst mit meinem Vater sprechen. Zwei Wochen, vielleicht länger. Außerdem wird das nur in mehreren Raten gehen...« Fünfhunderttausend waren mehr, als die Meisterin bekam – würde die sich dann nicht beschweren? Besorgt stutzte Yayoi. Kuniko schien für einen winzigen Moment in Gedanken versunken.
»Lassen wir das, darüber können wir später noch verhandeln. Unterschreib mir jetzt lieber erst mal diesen Wisch hier. Und setz deinen Stempel drunter, ein unbeglaubigter reicht.« Kuniko griff in ihre kunstlederne Umhängetasche, zog ein Blatt Papier heraus und legte es auf den Esstisch.
»Was ist das?«
»Ein Bürgschaftsvertrag.«
Kuniko zog sich einen Stuhl heran, setzte sich und zündete sich ohne zu fragen eine ihrer schrecklichen Mentholzigaretten an. Yayoi holte den Aschenbecher für Gäste, stellte ihn vor Kuniko hin und nahm dann mit ungutem Gefühl das Blatt Papier zur Hand. Soweit sie dem Formular entnehmen konnte, hatte Kuniko sich offenbar bei einer Firma, die sich »Verbraucherzentrum Million« nannte, zu einem Zinssatz von vierzig Prozent Geld geliehen. Im Kleingedruckten stand etwas von »gleichem Zinssatz bei Zahlungsverzug« und anderes, was Yayoi nicht so recht verstand; die Spalte »Bürge« war leer. Dort hatte jemand mit Bleistift ein dünnes Kreuz gemacht, wie um sie aufzufordern, hier ihren Stempel hinzusetzen.
»Wieso sollte ich so etwas unterschreiben?«
»Weil ich einen Bürgen brauche. Keine große Sache, du verpflichtest dich nicht zu Solidarhaftung oder so was, du wirst bloß einfache Garantieperson, reg dich also nicht auf. Mein Mann ist weg, ich bin auch in Schwierigkeiten. Wer den Bürgen spielt,
ist denen ganz egal, sagen sie. Sie nehmen auch die Unterschrift einer Mörderin.«
Yayoi überhörte die letzten Worte und hakte nach: »Dein Mann ist weg, sagst du? Wieso das?«
»Wieso wieso? Das geht dich gar nichts an«, blaffte Kuniko und grinste überheblich: »Ich hab ihn jedenfalls nicht umgebracht.«
»Ja, aber...«
»Nun komm schon, ich hab nicht vor, dir meine Schulden anzuhängen, ganz bestimmt nicht! So hinterhältig bin ich auch nicht. Du gibst mir doch die fünfhunderttausend, oder? Damit ist dann alles erledigt, jetzt setz endlich deinen Stempel drunter!«
Halbwegs beruhigt durch Kunikos Versicherung, drückte Yayoi ihren Namensstempel auf das Formular und unterschrieb. Was hätte sie denn machen sollen? Sie wäre dieses Weib sonst nie losgeworden, und bald war es Zeit, die Kinder vom Hort zu holen. Außerdem wollte sie nicht, dass Kuniko womöglich wieder hier hereinplatzte, wenn die Kinder daheim waren, und das wäre mit Sicherheit zu befürchten gewesen, wenn sie sich geweigert hätte. »Bist du nun zufrieden?«
»Thanks.« Kuniko drückte die Zigarette aus und stand auf, als hätte sie bekommen, was sie wollte. Yayoi folgte ihr zum Eingang. Kuniko stieß die Füße in ihre Pantoletten, drehte sich dann aber wieder um, als wäre ihr noch etwas eingefallen: »Hör mal, was ist das eigentlich für ein Gefühl, wenn man jemanden umbringt?«
Yayoi antwortete nicht, sondern starrte benommen auf den Schweißfleck unter dem Ärmelloch von Kunikos Kleid. Sie hatte endlich begriffen, dass sie erpresst worden war.
»Na, sag schon, was ist das für ein Gefühl?«
»Wie soll ich das beschreiben...?«
»Versuch es«, beharrte Kuniko, »komm, verrat’s mir, wie war’s?«
»Ich... irgendwie... Ich dachte nur: Hab ich dich erwischt, geschieht dir nur recht!«, antwortete Yayoi leise, und Kuniko wich zum ersten Mal einen Schritt vor ihr zurück, so als sei sie ihr auf einmal unheimlich geworden. Dabei knickte sie mit den gut zehn Zentimeter hohen Absätzen ihrer Pantoletten um und wäre fast gestürzt, wenn sie nicht im letzten Moment noch eine Ecke des Schuhschranks zu fassen bekommen hätte. Dann sah sie Yayoi mit entsetzten Augen an.
»Direkt hier hab ich ihm den Hals umgedreht«, sagte Yayoi und stampfte dabei ein paarmal mit dem Fuß auf den Boden. Kuniko starrte auf die Stelle zu Yayois Füßen, und in ihren Augen erschien Angst.Yayoi war überrascht, dass sie mit dem, was sie getan hatte, sogar einem unverschämten Weib wie Kuniko Furcht einflößen konnte. Dass seit
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