Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
machte sich Vorwürfe, dass sie alles auf die leichte Schulter genommen hatte, und überflog die wenigen Zeilen.
Demnach war heute am frühen Morgen in einem Abfallkorb einer Tōkyōter Parkanlage von einer Reinigungskraft ein Plastikbeutel
mit Leichenteilen gefunden worden. Die Polizei hatte daraufhin den Park durchsucht und war auf insgesamt fünfzehn Beutel mit Körperteilen eines männlichen Erwachsenen gesto ßen. Mehr stand nicht da.
Nach Ort und Anzahl zu urteilen, handelte es sich eindeutig um Kunikos Anteil. Nachdem sie ihr die Beutel aufgezwungen hatte, war ihr das Ganze offenbar lästig geworden, und da hatte sie die Mülltüten einfach in die Abfallkörbe eines Parks geworfen. Es war ein großer Fehler gewesen, Kuniko zur Komplizin zu machen. Sie hatte ihr doch von vornherein nicht über den Weg getraut, da hätte sie ihr die Beutel gar nicht erst überlassen dürfen. Was für eine Riesendummheit von mir, dachte Masako und kaute seit langem wieder nervös an den Fingernägeln.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis herauskäme, dass es sich bei dem Leichenfund im Park um Kenji handelte. Passiert war passiert, daran ließ sich nun nichts mehr ändern, aber um weitere Patzer zu verhindern, musste sie Kuniko einen Denkzettel verpassen. Dieser Denkzettel konnte nur in massiver Einschüchterung bestehen, alles andere würde nichts nützen. Zunächst jedoch schien es ihr ratsam, Yoshië über die veränderte Lage in Kenntnis zu setzen.
Yoshië würde heute wahrscheinlich zur Schicht wollen, deshalb sollte sie das so schnell wie möglich erledigen, dachte Masako und stand auf. Masako und die beiden anderen nahmen ihren freien Tag regelmäßig Freitagnacht, beziehungsweise Samstag früh. Das lag einfach daran, dass man für eine Sonntagsschicht zehn Prozent mehr Stundenlohn bekam, weshalb alle lieber den Samstag zu ihrem Ruhetag machten. Nur Yoshië war so versessen auf jeden Yen, dass sie sich keinen einzigen Tageslohn in der Woche entgehen ließ.
Sie drückte auf den billigen Klingelknopf aus vergilbtem Plastik, und sofort ging mit unangenehmem Knarren und Quietschen die Tür zu Yoshiës Haus auf.
»Du? Wieso....?«
Yoshië schien gerade das Abendessen vorzubereiten, denn aus dem Haus schlugen ihr Dunstschwaden von kochender Brühe entgegen. Außerdem roch es wie immer schwach nach Cresol.
»Kannst du für einen Moment nach draußen kommen, Meisterin?«, fragte Masako vorsorglich leise, denn direkt am Eingang lag das Wohnzimmer, in dem Miki in Shorts vor dem Fernseher saß. Die Arme um die nackten Beine geschlungen, war sie wie ein kleines Kind in einen Trickfilm vertieft und drehte sich nicht einmal zu Masako um.
»Ja, in Ordnung. Was ist passiert?«Yoshië schien etwas zu ahnen, denn alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Es war von einem dünnen Schweißfilm überzogen, und die Zeichen der Erschöpfung hatten sich so überdeutlich hineingegraben, dass es fast wehtat hinzuschauen. Masako wandte sich ab, ging ein paar Schritte zurück und wartete, dass Yoshië ihr nach draußen folgte.
Neben dem Eingang zu Yoshiës Haus lag ein winziger Garten, der zum Gemüsebeet umfunktioniert worden war. Masako betrachtete verwundert die Tomatensträucher, die voller roter Früchte hingen.
»Da bin ich. Was schaust du da?« Yoshië spähte ihr von hinten fragend über die Schulter.
»Ach, ich bewundere nur deine reiche Tomatenernte.«
»Wenn ich könnte, würde ich sogar Reis anbauen!«, sagte Yoshië mit Blick auf den winzigen, kaum einen Fuß breiten Erdstreifen unter der Dachrinne. »Tomaten habe ich so viele, dass ich sie schon fast nicht mehr sehen kann. Aber offenbar eignet sich der Boden dafür, sie sind unglaublich süß. Hier, nimm doch eine mit!«
Yoshië pflückte die dickste Tomate ab und legte sie Masako in die Hand. Das Haus war so verwittert und abgewirtschaftet wie seine Bewohnerin, nur ihre Früchte wuchsen im Überfluss, glänzten und waren prall und fest. Masako blieb eine Weile schweigend mit der Tomate in der Hand stehen.
»Sag schon: Was ist los?«, drängte Yoshië.
»Hach«, seufzte Masako und wandte sich zu ihr um, »hast du die Abendausgabe schon gelesen, Meisterin?«
»Wir bekommen keine Zeitung«, erwiderte Yoshië beschämt.
»Ach so. Tja, im Koganei-Park haben sie einige von unseren Beuteln entdeckt.«
»Im Koganei-Park? Das war ich nicht!«, schrie Yoshië entsetzt.
»Das weiß ich doch, Meisterin. Es war Kuniko, ohne Zweifel.
Jedenfalls ist die Polizei heute bei
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