Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
Geräusche laufender Fernseher. Es war die Zeit, da die Hausfrauen in der Küche standen und geschäftig das Abendessen vorbereiteten. Masako dachte an ihre eigene, verwaiste, aufgeräumte Küche und an das Bad, in dem sie jene Arbeit erledigt hatten. Das trockene, kalte, blitzblanke Bad passte mittlerweile besser zu ihr als die Küche.
Sie schaute auf dem Stadtplan nach, wo Kunikos Mietskaserne lag. Sie befand sich am Rande von Kodaira-City, der Nachbargemeinde.
Unten am Eingang reihten sich schmuddelige hölzerne Briefkästen aneinander. Sie klebten voller verschrammter Abziehbilder für Kinder oder zerkratzter »Keine Sex-Werbung bitte!«-Auf kleber. Wahrscheinlich wechselten hier ständig die Mieter, denn jedes Namensschild war mehrfach überklebt oder überschrieben worden. Am schlimmsten waren die, bei denen der mit Filzstift geschriebene Name des alten Mieters durchgestrichen und wieder ein anderer Name mit Filzstift daneben oder darüber geschrieben worden war. Wie Masako dem Briefkastengewirr entnehmen konnte, wohnte Kuniko im vierten Stock.
Der Aufzug sah kaum besser aus als die Briefkästen. Sie stieg ein, und der schwankende, ratternde Kasten fuhr sie in den vierten Stock hinauf. Vor Kunikos Wohnungstür drückte sie mehrmals auf die Klingel, aber niemand machte auf. Der grüne Golf stand unten auf dem Parkplatz, also konnte sie nur irgendwo in der Nähe sein, zum Einkaufen vielleicht. Masako beschloss, auf Kuniko zu warten, und stellte sich unauffällig in eine Ecke des Außenflurs der Mietskaserne.
Angelockt von dem bläulich weißen Licht, flogen kleine Insekten immer wieder gegen die Neonröhren, bis sie zu Boden fielen. Masako holte ihre Zigaretten heraus, steckte sich eine an und
zählte die toten Insekten zu ihren Füßen, während sie auf Kuniko wartete.
Nach etwa zwanzig Minuten sah sie sie aus dem Aufzug steigen und, bepackt mit Tüten aus dem 24-Stunden-Laden, auf sich zukommen. Obwohl es doch so drückend heiß war, hatte sie sich ganz in Schwarz herausgeputzt und war offensichtlich bester Laune. Fehlte nur noch, dass sie ein Liedchen summte! Ihre Aufmachung erinnerte Masako an die Raben im Park.
Kuniko zuckte zusammen, als sie Masako plötzlich in der schummrigen Flurecke stehen sah: »Ah! Hast du mich erschreckt!«
»Ich muss mit dir reden.«
»Was ist denn jetzt schon wieder?« Kuniko blickte Masako missmutig an.
»Du machst mir Spaß! Du hast alles vermasselt, das ist jetzt schon wieder!« Masako riss die Abendausgabe mit Gewalt aus dem Briefschlitz an Kunikos Wohnungstür, dass es durch den ganzen Flur hallte, und hielt sie ihr vor die Nase. Unruhig sah Kuniko sich um, ob auch kein Nachbar in der Nähe war.
»Worum geht es denn?«
»Wirf einen Blick hinein, dann wirst du schon sehen!« Masakos grimmige Miene machte ihr offenbar Angst; hektisch schloss Kuniko die Wohnungstür auf. »Es ist zwar nicht aufgeräumt, aber komm rein. Hier draußen kann uns jeder hören!«
Masako folgte ihr in die Wohnung. Es war nicht so unordentlich, wie Kuniko angekündigt hatte, doch die Einrichtung zeugte von einem Geschmack, der raffiniert sein wollte, aber doch nur kindisch und primitiv wirkte, genau wie das Wesen ihrer Besitzerin.
»Dafür verschwindest du aber auch bald wieder, hörst du?« Kuniko machte die Klimaanlage an und drehte sich ängstlich zu Masako um.
»Ich bin gleich fertig, keine Bange!«
Masako blätterte die Zeitung auf, suchte den Artikel auf Seite drei heraus und hielt ihn ihr vor die Nase. Kuniko stellte die Tragetüten auf dem Boden ab und überflog schnell die Zeilen. Unter der dick wie eine Maske aufgetragenen Foundation regte sich das Entsetzen. Befriedigt stellte Masako sie zur Rede: »Das bist doch
du gewesen, oder? Nur du kannst das Zeug an einem so unmöglichen Ort weggeschmissen haben!«
»Ich dachte, ein Park wäre genau richtig...«
»Bist du bescheuert? Da ist die Aufsicht doch gerade streng! Hab ich nicht gesagt, du sollst die Beutel zum normalen Hausmüll stellen?«
»Das gibt dir noch lange nicht das Recht, mich bescheuert zu nennen!«, empörte sich Kuniko und schmollte.
»Ich sage bescheuert, weil es bescheuert war. Wegen deiner Blödheit ist die Polizei bei Yama-chan gewesen!«
»Was – schon?« Kuniko verzog entgeistert das Gesicht.
»Ja, sie sind schon da gewesen. Sie haben zwar noch nicht herausgefunden, um wen es sich handelt, aber dazu brauchen sie bloß zwei und zwei zusammenzuzählen. Morgen wird es einen Riesenaufstand geben, das
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