Die Un-Heilige Schrift
Jahrhunderts die Diskussion um die Funde im Allgemeinen und deren Bedeutung im Besonderen. Kaum jemand konnte sich in dem Dickicht aus historischen Fakten, geschichtlichen Spekulationen, reinen Glaubensfragen, üblen Verleumdungen und Mutmaßungen mäßigen; unversöhnlich prallten die unterschiedlichsten Standpunkte aufeinander und statt einer sachlichen Erörterung auf der Basis belegbarer Tatsachen glaubte man sich in einen verbalen Glaubenskrieg verwickelt. Wie kam es dazu?
Geschichte einer Schatzsuche
Am Anfang steht der mittlerweile wohl meistzitierte Steinwurf seit Davids Kampf gegen Goliath. Und wie beim biblischen können auch beim Qumran-Wurf Legende und historische Wahrheit nicht mehr voneinander getrennt werden.
Sicher ist: Beiden Würfen wird nachgesagt, mitten im Schwarzen gelandet zu sein. Der 1946 oder 1947 einem Beduinen namens Muhammad ad-Dhib („der Wolf“) zugeschriebene Steinwurf sollte eine verloren gegangene Ziege aus einer Höhle locken – und zerschlug stattdessen einen Tonkrug. Einer, wie sich herausstellen sollte, von unzähligen Tonkrügen, in dem sich uralte Schriftrollen befanden.
Eingang zu Höhle 4 im Felsen gegenüber dem Mergelplateau. CC A. Sobkowski ("Abraham")
Der Ziegenhirte dürfte noch in einer weiteren Hinsicht einen Volltreffer gelandet haben: Die Mehrzahl der aufgefundenen Tonkrüge war bereits in tausende Scherben zerbröckelt; und fast alle Schriftrollen befanden sich in fortgeschritten fragmentarischem Zustand. Soll heißen: Es handelte sich um kaum mehr als münzgroße Fetzen brüchigen Leders und verrotteten Papyrus’. Muhammad aber fand wohl eines jener 1 bis 2 % der gesamten Qumran-Funde, die noch als Schriftrollen erkennbar waren, eingeschlagen in den verfaulten Resten einer Leinenhülle.
Alte Lederrollen in stinkendem, verrottetem Leinen, ohne Heizwert …
Dennoch wusste der junge Beduine wenig mit seinem Fund anzufangen. Immerhin – manche der noch intakten Tonkrüge erwiesen sich als brauchbare – Tonkrüge. Die darin vorgefundenen Rollenreste dienten als Brennmaterial. Da Leder aber für Heizzwecke ungeeignet ist, brachten die Beduinen das Zeug zu einem christlichen Schuster in Betlehem. Kando, wie der Mann von allen genannt wurde, machte ihnen daraus aber keine neuen Sandalen, sondern kaufte ihnen das Material für ein paar Münzen ab (kolportiert werden vier Dollar). Über ihn gelangten die Schriftrollen zu seinem geistlichen Oberhaupt, dem syrischen Metropoliten Mar Athanasius Samuel.
Einer anderen Version zufolge hätten die Beduinen durchaus vermutet, etwas Wertvolles gefunden zu haben, und seien mit drei, sieben oder acht gut erhaltenen Rollen zu einem örtlichen Scheich gegangen. Dieser habe sie an besagten Kando verwiesen, der aber nicht (nur) Schuster, sondern (auch) Antiquitätenhändler gewesen sei. Am Ende dieser Episode steht wieder der syrische Metropolit – nur dass Kando in dieser Version nachgesagt wird, zuvor noch selbst auf (illegale) Schriftrollenjagd gegangen zu sein.
… oder doch ein überaus wertvoller Fund?
Gegen die „Unbedarfte-Beduinen-Version“ spricht das Faktum, dass Anfang 1948 nicht nur der Metropolit über 4 (5?; mehr?) Schriftrollen verfügte, sondern auch ein Archäologe der Hebräischen Universität, Professor Eliezer Lipa Sukenik, im Besitz von drei Rollen war, die auf nicht nachvollziehbaren, verschlungenen Pfaden zu ihm gelangt waren. Nur: Zu diesem frühen Zeitpunkt wusste, nach allem was bekannt ist, niemand außer den Beduinen von der Existenz der Schriftrollen.
Die Wissenschaft war jedenfalls spätestens jetzt alarmiert und versuchte, eine systematische Erforschung der Qumran-Höhlen in Gang zu bringen.
Die damaligen politischen Umstände und offenbar auch die erschreckende Amateurhaftigkeit der meisten dieser Bemühungen erschwerten dies und machen eine lückenlose Darstellung der Fundgeschichte faktisch unmöglich: Zur Zeit des Steinwurfs befand sich Muhammad ad-Dhib auf palästinensischem Gebiet unter britischem Mandat. Kurze Zeit später wurde der Staat Israel ins Leben gerufen und mitten durch das Fundgebiet verlief plötzlich eine politisch äußerst heiße Grenze.
Die Beduinen fanden mehr als alle Wissenschaftler zusammen
Es ist auch nicht mehr zu klären, was die Beduinen vorfanden, was sie an wen verkauften, was sie als Heizmaterial verwendeten oder was bereits vor der Entdeckung in der Neuzeit bei lange zurückliegenden Funden zerstört oder entwendet worden war. Man konnte aufgrund der
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