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Die Un-Heilige Schrift

Die Un-Heilige Schrift

Titel: Die Un-Heilige Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmuth Santler
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drei Monate auf dem deutschsprachigen Büchermarkt, als plötzlich das gesamte bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht publizierte Qumran-Material in einer Mikrofilm-Edition verfügbar war. Alles in allem eine wirklich reife Marketing-Leistung des Verlags: Mit der Hereinnahme des Namens Jesus in den Titel und dem perfekt gewählten Zeitpunkt der Veröffentlichung war das Weihnachtsgeschäft mehr als nur gerettet.
    In den auf diesen Coup folgenden Monaten erschienen sachliche, theologisch und bibelwissenschaftlich fundierte Abhandlungen zur Widerlegung der „Verschlusssache“ in Serie. Deren publizistische Wirkung konnte natürlich in keiner Weise an die von Baigent und Leigh erzielte heranreichen und die Schadensbegrenzung aus katholischer Sicht dürfte gründlich misslungen sein: Nichts ist so klebrig wie eine üble Nachrede.
Was hätte Jesus zur (katholischen) Kirche gesagt?
    Dies gilt umso mehr, als die öffentliche Meinung in Bezug auf die Machenschaften der (katholischen) Kirche ohnedies seit Jahren einem grundlosen Keller zustrebte (was sich seither in aller Konsequenz fortgesetzt hat); Jahrhunderte der kirchlichen Untragbarkeiten aller Art, von Gedankenpolizei bis zur Inquisition, von Bigotterie bis zur offenen Kriegstreiberei, brachen sich in offenem Unmut Bahn. Wohl kaum ein Verbrechen wurde im Laufe der langen, langen Zeit vatikanischer Machtinhabung nicht im Namen Gottes begangen. Was wohl der angeblich so ultrapazifistische, sicher aber seine Überzeugungen wahrhaftig lebende Jesus dazu gesagt hätte?
    Die Schadensbegrenzung ist aber auch deshalb misslungen, weil die honorigen Herren in ihren Reaktionen erkennen ließen, dass sie noch immer nicht bereit waren, ein anderes Bild von Kirche, Religion, Gott und Christus zuzulassen, als es dem Dogma entspricht. Nach allem, was wir heute wissen, war Jesus ein von der Philosophie der griechischen Kyniker beeinflusster, umherziehender Weisheitslehrer, der seine festen Wurzeln im rabbinischen Judentum hatte. Dennoch übte er scharfe Kritik am priesterlichen Establishment und dürfte auch sonst überaus radikal in seinem Denken und Handeln gewesen sein; als Führer einer noch so kleinen Bewegung geriet er außerdem automatisch in Opposition zur römischen Besatzungsmacht.
    Jesus und die Zeloten

    Der Märtyrertod des Simon Zelotes durch Zersägen. Holzschnitt von Lucas Cranach dem Älteren, ca. 1512
    Was ist so furchterregend an der Vorstellung, Jesus könne Kontakt zu den militanten Zeloten gehabt haben? Womöglich sogar Zeloten in seinen Reihen geduldet haben? Oder, Gott bewahre, selbst Zelote gewesen sein?
    Letzteres ist allerdings unwahrscheinlich – Jesus hat wohl seine eigene Suppe gekocht. Daran, dass auch Zeloten davon gelöffelt haben, dürfte aber nicht zu rütteln sein: Immerhin trug ja sein Jünger Simon den Beinamen „der Zelot“. Klaus Berger mit einem etwas hilflos anmutenden Versuch, diesen Umstand umzudeuten:
    Das Neue Testament enthält keinerlei Hinweise, dass Jesus oder irgendwelche maßgeblichen Personen der frühen Christenheit (über „Simon den Zeloten“ nach Lk 6,15; Act 1,13 hinaus, von dem wir nicht wissen, wie er zu seinem Beinamen kam) Zeloten gewesen wären. (S. 29)
    Womöglich war Simon der Zelot – Zelot? Und kam so zu seinem Beinamen?
    Der jüdischen Überlieferung zufolge war auch Judas Ischariot ein Zelot. (Interessante Randbemerkung: Das griechische Wort „zelot“ bedeutet „Eiferer“, hebräisch kanai, aramäisch kananäu; dies führte zu der in älteren Bibelausgaben anzutreffenden Falschübersetzung „Simon der Kanaaniter“.)
    Paulus der Umtriebige
    Auch die Rolle, die Paulus für die entstehende Großkirche spielte, ist schon lange umstritten. Fakt ist, dass er der erste und erfolgreichste christliche Missionar seiner Zeit gewesen – und Jesus nie persönlich begegnet ist. Er konnte gar nichts anderes tun, als sein eigenes Jesusbild zu entwerfen – und dies aus zweiter Hand.
Paulus' Königsidee: Unbeschnittene können Christen werden.
    Paulus, der Sohn strenggläubiger jüdischer Eltern mit römischem Bürgerrecht und griechischer Bildung, wandelte sich ja bekanntlich vom Verfolger des zum Eiferer für das Christentum. Er hatte die Königsidee: Die Sitte des Beschneidens davon unabhängig zu machen, ob jemand Christ werden wolle oder nicht. Paulus hat damit aller Wahrscheinlichkeit nach keinesfalls das Judentum verraten (wollen), wie es ihm oft und oft unterstellt wurde und wird, sondern eine entscheidende

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