Die Un-Heilige Schrift
Kreuzigung Jesus’ Kind unterm Herzen; die Nachkommenschaft des Messias soll es heute noch geben. Mit dem Heiligen Gral sei in Wahrheit nämlich nichts anderes als der Mutterschoß Maria Magdalenas gemeint bzw. das „königliche Blut“. In dem rätselhaften Jahrtausendkomplott, das vor unseren Augen enthüllt wird, darf natürlich eine ultrageheime Geheimgesellschaft nicht fehlen, genannt die Prieuré von Sion.
Die wesentlichen Elemente des Thrillers sind reine Erfindung
Das alles ist ungemein spannend zu lesen und mit großem Geschick als untrennbare Mischung von Fakt und Fiktion präsentiert. In Italien war man empört und rief anlässlich des Filmstarts zur öffentlichen Bücherverbrennung auf. Der Vatikan und andere christliche Konfessionen raten den Gläubigen vom Lesen des Buches ab, weisen aber ausdrücklich darauf hin, keinen Boykottaufruf verbreitet zu haben; was im Übrigen auch nutzlos gewesen wäre, denn Dan Browns Thriller hat sich weltweit mehr als 50 Millionen Mal verkauft.
Im Sog von Sakrileg erschienen nach der Reihe etliche Bücher, die die abenteuerliche Gralstheorie mit neuen „Fakten“ unterfütterten oder als das entlarvten, was sie ist: reine Erfindung.
Es mag langweilig sein und bereitet sicherlich nicht das diabolische Vergnügen wie Dan Browns so wohlüberlegt vorgelegten und superspannend inszenierten Argumenten zu folgen, bei denen die katholische Kirche so richtig „ihr Fett weg“ kriegt, aber so sieht es aus: Die Kirche ist „unschuldig“ – wenigstens dieses eine Mal. Auch wenn es viele nicht glauben wollen. Was wiederum die Kirche nach Jahrhunderten der Bigotterie nicht groß überraschen sollte.
In einer seriösen Analyse kommt der protestantische Professor für das Neue Testament, Darrell L. Bock, zu folgender Conclusio:
Maria Magdalena war eine gläubige Jüngerin, eine Zeugin für Kreuz, Begräbnis und Auferstehung Jesu. […] Sie war nicht mit Jesus verheiratet; zumindest gibt es keinen Beweis in der Bibel oder außerhalb ihrer dafür. (Bock, S. 29)
Und weiter: Zwei historische Behauptungen des Thrillers halten stand:
1. Frauen wurden in ihrer Stellung emporgehoben durch das, was Jesus lehrte (jedoch möglicherweise nicht so sehr, wie manche annehmen möchten).
2. Maria Magdalena war keine Prostituierte. Die übrigen Grundlagen der Geschichte sind aus Sand hergestellt. (Bock, S. 154)
Mit Letzterem trifft der Herr Professor nicht ganz den Punkt: Dan Browns Geschichte ist nicht aus Sand hergestellt, sondern aus einem Buch, mit dem wir alten Bekannten wiederbegegnen: Michael Baigent und Richard Leigh, den Autoren der „Verschlusssache Jesus“. Zusammen mit Henry Lincoln hatten sie 1982 „Holy Blood, Holy Grail“ veröffentlicht, auf Deutsch unter dem Titel „Der Heilige Gral“ erschienen.
Baigent und Leigh lieferten die fiktiven "Fakten"
Dan Brown weist in typischer Manier selbst auf diesen Umstand hin: Leigh Teabing, der Name des Gralsexperten, der im Roman die Theorie von der bestehenden Blutlinie Jesu darlegt, ist ein Anagramm aus den beiden Autorennamen Leigh und Baigent. Der Hinweis auf Henry Lincoln besteht in der Beschreibung des körperlichen Zustandes von Leigh Teabing, der auffallende Parallelen zu dem des realen Henry Lincoln aufweist.
Lincoln, Baigent und Leigh gingen folgendermaßen vor: Sie nahmen sich in ihr Konstrukt passende Legenden, unterfütterten sie mit „Beweisen“, interpretierten, was immer erforderlich war, um und erfanden, was noch fehlte, einfach dazu. Konkret erfahren wir hier z. B. von der Flucht der (schwangeren) Maria Magdalena nach Marseilles, in geheimen historischen Dokumenten belegt. Wir wissen allerdings in der Zwischenzeit, wie „geheim“ diese „Dokumente“ waren: Es handelt sich um nichts anderes als die Legenda aurea des Jacobus de Voragine, die aus dessen Sicht nie mehr als das gewesen ist – eine Legende. Dieses Buch war zum Ende des Mittelalters in etwa so geheim, wie es heute „Der Herr der Ringe“ ist – und hatte denselben Anspruch an historische Wahrhaftigkeit.
Die Prieuré de Sion
Immerhin als eine echte Lüge entpuppte sich die Prieuré de Sion. Historisch belegt ist ein französisches katholisches Kloster unter diesem Namen, das von etwa 1100 bis 1627 existierte und dessen Mönche, wie viele andere Christen in Frankreich, insbesondere Maria Magdalena verehrten.
Eine reuige, halbnackte MM findet sich immer noch ... Hier die Skulptur von Antonio Canova, um 1800. Foto: Mak Thorpe, CC 3.0
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