Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)
Mit etwas Glück konnte sich die Zahl auf fünfunddreißig erhöhen. Ich gab die Anweisung, die Leichen gleich nach ihrer Ankunft in unseren Keller zu schaffen. Ich will nicht angeben, aber er ist der größte in der ganzen Stadt, der einzige neben dem städtischen, der einem Massaker gewachsen ist. Ob ich sie persönlich in Empfang nehmen würde, fragte mich ein Angestellter. Ich verneinte. Ich wollte warten, bis sie unten waren und auf den Tischen aufgebahrt lagen, erst dann würde ich hinuntergehen, ganz allein. Man solle mir Bescheid geben .
Am Ende waren es zweiunddreißig. Die letzte Lieferung kam um drei Uhr nachmittags. Ich stieg also allein in den Keller, mit Frack und Zylinder, Halskrause und roter Krawatte, in jenem Glanz, zu dem du mich imstande weißt. Warum haben die Frauen bis heute nicht bemerkt, wie gut ich aussehe? Sie verschließen, wann immer sie können, vor der offenkundigen Wahrheit die Augen .
Die meisten Toten waren erstickt, entweder durch den Rauch oder erdrückt von der Menge, die aus dem Ofen zu flüchten versuchte. Einige waren besonders entstellt, vermutlich die aus dem Erdgeschoss, die vom Gewicht der oberen Etagen zerquetscht worden waren. »Ein wenig sein, dann nicht mehr sein, das ist besser, als gar nicht gewesen zu sein«, sagte ich wie zum Segen leise über jeden Kopf. Und ich roch, ja, ich schnupperte. Zu dem vertrauten Duft gesellte sich der des Brandes und ein schwerer von geräuchertem Fleisch .
Meine Toten lagen Seite an Seite, Hand an Hand, auf den großen elfenbeinfarbenen Tischen. Schöne Frauen darunter, noch nicht zu eingesunken, mit spatzenhaft geschwollenem Hals, genau wie ich sie liebe. Einige Gesichter kannte ich. Ich lief den Gang auf und ab und wusste nicht mehr, wo mir der Kopf stand, so viel gab es zu sehen . Ich bemühte mich, Ruhe zu bewahren, Herr meiner selbst zu bleiben . Wenn man ist, was ich bin, dann misstraut man dem, was man ist .
Da stieß ich auf Blanchots Leichnam. Übel zugerichtet, den Mund noch offen. Ich erwähne das, weil dich die Sache auf seltsame Art und Weise betrifft. Noch am Nachmittag hatte ich mit Blanchot gesprochen. Ich hatte ihm für einen Spottpreis ein Marienbild überlassen, als Gegenleistung für einen kleinen Dienst, den er mir erwiesen hatte. Und jetzt rate mal, wer dieses Bild gemalt hat. Du errätst es nicht: du! Und zwar vor über dreißig Jahren, als du dich noch für christlich gehalten hast, tja, man wird nicht jünger. Deine damalige ewige Liebe hat dir Modell gestanden. Sag, Rogatien, sag, erinnerst du dich noch an Justine Vilbroquais?
Ich sehe noch die Mauer vor mir, auf die du mit sieben Jahren geschrieben hast: ICH GEHÖHER FÜR IMER JUSTINE VILBROQUAIS . Kannst du dir vorstellen, dass sie noch hier im Viertel wohnt? Sie verdient ihr Brot als Klavierspielerin in Lichtspielhäusern. Tröste dich, Rogatien, diese Witwe hat ein elendes Leben gehabt. Aber äußerlich hat sie sich kaum verändert. Kein Scherz. Ihre Augen, ich schwöre es dir, ihre berühmten Augen sind noch wie früher .
Ja, ich lief an all diesen Leichen vorbei, die wir herzurichten hatten, und die Aussicht auf das Große Werk überwältigte mich. Und als ich mich noch am selben Abend mit meinen Mitarbeitern daranmachte, fühlte ich mich angesichts des Königreichs an Farben, das der menschliche Körper in seinem Inneren birgt, wie ein Blumenzauberer, wie ein genialer Gärtner, der von Licht und Musik besprenkelt durch seine blühenden Kathedralen wandelt!
R. Costade
Direktor des Bestattungshauses Costade & Söhne
Bestattungen seit drei Generationen
(Der Rest des Dokuments ist für die Geschichte ohne Bedeutung.)
R emouald Tremblay, dreiunddreißig Jahre, pflegte dreimal die Woche seinen Vater im Rollstuhl auszufahren.
Seit etwa zehn Jahren konnte Séraphon Tremblay seine Glieder nicht mehr bewegen, weder die unteren noch die oberen. Das war auf ganz natürliche Weise geschehen, wie beiläufig und fast ohne Schmerz, so wie Blumen in einer Vase vertrocknen. Mit seinem unverwechselbaren violetten Umhang über der Schulter, halb Jacke, halb Decke, glich er einer Marionette, die erst durch eine Hand zum Leben erweckt wird: ein Körper aus Lumpen, ein Kopf aus Holz, und ein hämisches, starres Grinsen, wie Kinder es aus bösen Träumen kennen. Vom Kopf war als Erstes die vorstehende, krumme Nase zu sehen. Trotz aller Falten hatte er doch sehr lebendige Gesichtszüge, konnte bissig antworten und hatte einen bemerkenswert stechenden und wachen
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