Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unbekannten: Roman (German Edition)

Die Unbekannten: Roman (German Edition)

Titel: Die Unbekannten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
Vom Netzwerk:
wollte sich nicht von der tröstlichen Hand der Frau abwenden.
    Grady fiel nichts ein, was er hätte sagen können. So leise, als sei er nur der Geist eines Jungen, zog er sich aus der Küche zurück und legte sich wieder ins Bett.
    Ein paar Nächte später wachte er morgens um eins auf, ging leise nach unten und fand seine Mom wieder so vor wie beim letzen Mal. Mit dem Hund.
    Er blieb ein Weilchen in der Tür stehen, ohne sich bemerkbar zu machen. Es kam ihm richtig vor, dass er bei ihr war und doch Abstand zu ihr hielt. Er wachte über sie, während sie durch das Fenster in die Nacht starrte.
    Während der nächsten Monate schloss er sich ihr noch ein paar Mal an, so lautlos und so unbemerkt wie ein Schutzgeist. Wenn er in sein Bett zurückkehrte, fragte er sich immer, wann seine Mutter eigentlich schlief. Vielleicht tat sie es ja gar nicht.
    Eines Nachts ging er nach unten und fand das Flurlicht ausgeschaltet vor. Seine Mutter war nicht in der Küche. Sneakers auch nicht.
    Grady nahm an, sie hätte ihren Tagesablauf verändert. Auch er schlief jetzt besser als in den Wochen gleich nach dem Tod seines Dads.
    Ein Jahr verging, bevor er sie und Sneakers wieder im Dunkeln am Küchentisch entdeckte. Sie hatte nie ganz damit aufgehört, in der tiefsten Nacht herunterzukommen. Vielleicht kam sie in den meisten Nächten.
    Diesmal sagte er: »Mom«, und ging zu ihr. Er legte eine Hand auf ihre Schulter. Sie hob ihren Arm und nahm seine Hand in ihre. Nach einem Moment sagte er: »Glaubst du … er wird zu Besuch kommen?«
    Ihre Stimme war unglaublich sanft. »Wie? Als Geist? Nein, Schätzchen. Das ist mein Fenster in die Vergangenheit und in die Zukunft. Wenn ich meine Vergangenheit will, sehe ich deinen Vater dort draußen im Gemüsegarten arbeiten.«
    Sie bauten Tomaten, Karotten, Gurken, Radieschen und anderes für den eigenen Bedarf an.
    Grady setzte sich zu ihr an den Tisch.
    »Wenn ich meine Zukunft will«, fuhr sie fort, »sehe ich dich groß und attraktiv und ausgewachsen, mit deiner eigenen Familie. Und mich sehe ich wieder bei deinem Dad, in einer neuen Welt ohne Mühsal.«
    »Sei nicht traurig«, sagte Grady.
    »Oh, Liebling, ich bin nicht traurig. Bin ich dir jemals traurig vorgekommen?«
    »Nein. Nur dass du … so hier sitzt.«
    »Wenn ich sage, dass ich mich wieder bei deinem Dad sehe, meine ich damit nicht, dass ich es mir wünsche. Ich sehe es wahrhaftig.«
    Grady warf einen Blick durch die Fensterscheibe und sah nur die Nacht.
    »Glauben ist nicht wünschen, Grady. Was du in deinem
Herzen weißt, ist das Einzige, was du jemals wirklich weißt.«
    Inzwischen hatte sie eine Stelle im Büro des Sägewerks angenommen. Fünf Tage in der Woche verbrachte sie dort, wo Paul gestorben war. Sie brauchten das Geld.
    Lange Zeit bereitete es Grady Sorgen, dass sie im Sägewerk arbeitete. Er glaubte, sie litte unter der ständigen Erinnerung an die verbogenen Stifte und das zerbrochene Sägeblatt.
    Mit der Zeit verstand er jedoch, dass sie den Job mochte. Im Sägewerk und unter den Menschen zu sein, die mit Paul zusammengearbeitet hatten, war eine Möglichkeit, die Erinnerung an ihren Mann klar und deutlich zu bewahren.
    Eines Samstags, als er vierzehn war, kam Grady von einem Wochenendjob nach Hause und musste feststellen, dass Sneakers gestorben war. Seine Mutter hatte das Grab ausgehoben.
    Sie hatte den Leichnam für das Begräbnis vorbereitet. Sie wickelte den geliebten Hund in ein Bettlaken und dann in das schönste Stück, das sie besaß, eine erlesene Tischdecke aus irischer Spitze, die nur zu Thanksgiving und an Weihnachten benutzt wurde.
    Grady fand sie auf den Stufen zur Veranda hinter dem Haus. Sie wiegte den eingehüllten Leichnam in ihren Armen, weinte und wartete auf ihn. Zwei Menschen waren erforderlich, um Sneakers mit Respekt und Behutsamkeit in das Grab zu legen.
    Als die Sommersonne unterging, betteten sie den Hund in seine letzte Ruhestätte. Grady wollte die Erde in
das Grab schaufeln, doch seine Mom bestand darauf, es selbst zu tun. »Er war so lieb«, sagte sie. »Er war so lieb zu mir.«
    Da sie entschlossen war, um seinetwillen stark zu sein, ließ sie nie zu, dass Grady sie um seinen Vater weinen sah. Die Tränen, die sie dem Hund nachweinte, konnte sie nicht verbergen.
    Sein Vater hatte ihr den Hund geschenkt. In einsamen Nächten hatte der Hund gemeinsam mit ihr getrauert. Jetzt hatte sie Sneakers verloren, aber in gewisser Weise war es, als hätte sie auch ihren Ehemann noch einmal

Weitere Kostenlose Bücher